Das Leben schreibt die besten Geschichten. Gerade im Genre der Journalistenfilme hat diese Binsenweisheit besondere Gültigkeit.
Das Leben schreibt die besten Geschichten. Gerade im Genre der Journalistenfilme hat diese Binsenweisheit besondere Gültigkeit.
Kein Wunder, eignen sich wahre Begebenheiten doch am besten, um den Sinn (und manchmal auch Unsinn) der vierten Gewalt hervorzuheben. Der folgende Überblick enthält Journalistenfilme, die auf diesem Blog bereits besprochen wurden und von realen Ereignissen erzählen. Wobei ich zwischen „Journalistenfilme, die auf wahren Begebenheiten beruhen“ und „Journalistenfilme, die lose auf wahren Begebenheiten beruhen“ unterscheide – die Nennung erfolgt in alphabetischer Reihenfolge. Der Artikel wird laufend erweitert, so dass sich irgendwann hoffentlich eine nahezu vollständige Liste ergibt (“Träum’ weiter!”, Anm. d. Autors im Zuge einer Aktualisierung). Viel Spaß beim Stöbern!
Text: Patrick Torma.
Journalistenfilme, die auf wahren Begebenheiten beruhen
10 Days in an Madhouse
Nelly Bly war eine journalistische Pionierin, sie gilt als Großmutter der verdeckten Recherche. Ausschlaggebend für ihren Durchbruch in einer Zeit, in der es alles andere als üblich war, dass Frauen überhaupt einem Beruf nachgingen, war ihr Undercover-Bericht Ten Days in a Mad-House aus der berüchtigten New Yorker Nervenheilanstalt auf Blackwell’s Island, mit dem sie auf menschenunwürdige Behandlungsmethoden aufmerksam machte. Dabei erfuhr die als Patientin getarnte Journalistin auch, unter welchen fadenscheinigen Gründen gesunde, aber unliebsame Frauen nach Blackwell abgeschoben wurden. Nelly Blys Geschichte hat weitaus besseres verdient als die Low Budget-Gurke 10 Days in a Madhouse. Glücklicherweise sind ihre Verdienste allgemein anerkannt.
The Bang Bang Club
Vier Fotoreporter werden in den Bürgerkriegswirren Südafrikas zu journalistischen Popstars hochgejazzt. Die Presse feiert den Bang Bang Club als einen verwegenen Haufen, der zwischen der Suche nach dem nächsten Kick und dem Pflichtgefühl, den der Job so mit sich bringt, scheinbar mühelos Pulitzer Preis-würdige Fotomotive aus dem Ärmel schüttelt. Doch bald stellt sich heraus, das die Mitglieder keineswegs unverwundbar sind. The Bang Bang Club zeigt Schlüsselszenen aus dem Leben der Fotografen Greg Marinovich, Kevin Carter, João Silva und Ken Oosterbroek, ist aber primär an einer Legendenbildung interessiert. Nur im Fall des verstorbenen Kevin Carter (dessen Bild „Der Geier und das kleine Mädchen“ zum Mahnmal des Welthungers wurde) wagt sich der Film näher an seine Hauptdarsteller heran (siehe auch The Death of Kevin Carter).
Frost / Nixon
Schlagabtausch zwischen TV-Talker und Polit-Profi: David Frost (Martin Sheen) bittet Richard Nixon (Frank Langella, Good Night and Good Luck) zum Interview – der Fernsehmann erhofft sich von dem Plausch mit dem gefallenen Ex-Präsidenten einen Karriere-Boost. Doch es tritt zunächst das ein, womit viele Beobachter im Vorfeld gerechnet haben. Nixon, ganz Elder Statesman, zieht den charismatischen, aber schlecht vorbereiteten Frost am Nasenring durch die Interview-Arena. Die drohende Schmach und das endgültige Karriereende vor Augen besinnt sich der Host auf journalistische Tugenden – es gelingt ihm, Nixon eine Beichte hinsichtlich seiner präsidialen Missetaten abzunehmen. Die Welt hält den Atem an… Frost/Nixon erzählt die Geschichte einer TV-Sternstunde. Der Kater kommt bei der Recherche danach: Der Film arbeitet mit Verdichtungen und Verklärungen, die psychologischen Spielchen zwischen den beiden Figuren haben sich in Wahrheit nicht so zugetragen. Spannend ist der Verbal-Thriller trotzdem.
Gladbeck
Gladbeck ist die Rekonstruktion eines Verbrechens, das die Nation im August des Jahres 1988 in Atem hielt. Das Geiseldrama von Gladbeck (das in der Ruhrgebietstadt „nur“ seinen Anfang nahm) steht synonym für einen der größten Medienskandale in der Geschichte der Bundesrepublik: Auf ihrer Irrfahrt über Ländergrenzen hinweg werden die Gangster Rösner und Degoswki samt Geiseln von Pressevertretern verfolgt, ja geradezu belagert. Sie übernehmen zum Teil Verhandlungen, behindern die Arbeit der Polizei- und Ermittlungsbehörden und geben den Geiselnehmern sogar Tipps, wie sie auf schnellstem Wege zur nächsten Autobahnauffahrt gelangen. Gladbeck, anlässlich des 40 Jahrestages des Geiseldramas als TV-Zweiteiler in der ARD erschienen, ist eine akkurate Chronologie der Ereignisse und ein gruseliges Mahnmal.
The Idealist – Geheimakte Grönland
Nicht mal in der grönländischen Einöde lässt sich etwas vertuschen. 1968 stürzt nahe der Thule Air Base eine B-52 mit vier nuklearen Bomben an Bord ab. Die beteiligten Regierungen – die USA als Betreiberin der Air Base sowie Dänemark als Verwaltungsmacht Grönlands – spielen den Vorfall herunter. 20 Jahre erfährt der Journalist Poul Brink von dänischen Arbeitern, die an der Bergung des Wracks beteiligt waren und im Laufe der Jahre – über das gesunde Maß der Statistik hinaus – schwer erkrankt sind. Der Reporter macht sich auf die Suche nach der Wahrheit – und stößt dabei auf erhebliche Widerstände. Beinahe dokumentarisch hält The Idealist – Geheimakte Grönland die Chronologie der Brink’schen Recherchen fest. Der echte Poul Brink vermag die Geschichte nicht mehr zu erzählen – er verstarb 2002 im Alter von nur 49 Jahren. Nordisch-kühler Journalistenfilm, der den Vergleich mit den großen Vorbildern nicht scheuen muss.
Insider
Die Tabakindustrie, dein Freund und Arbeitgeber? Der Chemiker Dr. Jeffrey Wigand (Russell Crowe) hat so seine Zweifel. Aber das Salär und die finanzielle Absicherung für seine Familie sind zu verlockend. Bis er von der Beimischung besonders abhängig machender Zusatzstoffe erfährt und im legendären Nachrichtenformat 60 Minutes auspackt. Vorbereitet (bzw. weich geklopft) wird er vom Journalisten Lowell Bergmann (Al Pacino). Insider ist ein zweigeteilter Film, der auf den tatsächlichen Aussagen des echten Whistleblowers Wigand basiert. Konzentriert er sich in der ersten Hälfte auf den Gewissenskonflikt des Jeffrey Wigand (bestes Paranoia-Kino!), rücken in der zweiten Hälfte die Medien und ihre Mechanismen in den Vordergrund. Al Pacino schwingt sich auf zum Super-Journalisten – mitreißend gespielt, aber auch über die Grenze zum Pathos hinweg. Der echte Lowell Bergman fühlte sich geschmeichelt, musste aber einräumen, dass Pacinos Performance ein wenig über das Ziel hinaus schoss. Was nichts daran ändert, dass Insider einer der spannendsten Beiträge des Journalistenkinos überhaupt ist.
Kill The Messenger
„Manche Geschichten sind zu wahr, um sie zu verbreiten“, das muss Gary Webb am eigenen Leibe erfahren. Der Journalist berichtet über die Verbindungen der CIA zu den nicaraguanischen Contras, die ihren Kampf gegen die sandinistische Regierung mit Drogengeldern finanzieren. Da die USA etwas gegen sozialistische Regime vor ihrer Haustür haben, lassen sie die Contras gewähren – auch unter den Umständen, dass der Stoff auf den eigenen Straßen landet. Die Geschichte ist gar nicht mal so neu – bereits 1986 hatte ein Ausschuss auf Initiative des späteren US-Außenministers John Kerry die Hintergründe untersucht. Doch als Webb seine Artikelserie Dark Alliance veröffentlicht, wird er von gleich mehreren Seiten in die Mangel genommen. Mitglieder der Regierung drohen ihm unverhohlen. Gleichzeitig stellen die großen Traditionsblätter, die sich von einem Reporter einer Regionalzeitung düpiert fühlen, Webbs Integrität in Frage, sein Privatleben kommt auf den Seziertisch. Arbeitgeber und Familie wenden sich ab, am Ende ist Webb ein gebrochener Mann. Der echte Garry Webb nimmt sich 2004 das Leben. Das Werk einer Verschwörung? Kill The Messenger legt diese Deutung nahe. Der eigentliche Skandal ist jedoch das Multiorganversagen der vierten Gewalt. Ein bisschen viel Paranoia der Paranoia wegen – davon abgesehen ist Kill The Messenger ein guter, nachdenklich stimmender Beitrag zum Genre.
The Killing Fields
In den Wirren der Machtergreifung der Roten Khmer in Kambodscha werden der US-Journalist Sydney Scharnberg und der einheimische Fotoreporter Dith Pran voneinander getrennt: Gemeinsam wollen sie das Land verlassen, doch nur Scharnberg darf ausreisen. Für Pran beginnt eine vierjährige Leidenszeit: In permanenter Gefahr, von den neuen Machthabern als Intellektueller enttarnt und auf den titelgebenden Killing Fields verscharrt zu werden, schlägt er sich durch eine kriegsgebeutelte Heimat, die knapp 40 Jahre später noch immer unter den Folgen eines mörderischen Regimes leidet. Bis zu 2,2 Millionen Kambodschaner wurden für Pol Pots Vision eines bäurischen Utopias getötet, das Land zählt heute zu den ärmsten der Welt. Ein Mahnmal von einem Film. Und das Dokument einer Freundschaft zweier Journalisten, die selbst eine Terrorherrschaft überdauert hat: Nachdem Dith Pran die Flucht ins benachbarte Thailand gelingt, fliegt er in die USA, wo er auf seine Familie trifft und später wieder mit Scharnberg zusammenarbeitet. Der schreibt das Buch The Life and Death of Dith Pran – die Vorlage für diesen beklemmenden wie beeindruckenden Film.
Der Moment der Wahrheit
Mary Mapes ist eine engagierte Journalistin. Als solche hat sie den Folterskandal von Abu Ghraib durch US-amerikanische Soldaten aufgedeckt. Nun bekommt der Präsident sein Fett weg. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2004 berichtet sie über Ungereimtheiten in George W. Bushs Lebenslauf: Hat sich der Kriegspräsident als junger Mann vor einem Einsatz in Vietnam gedrückt? Die Geschichte scheint rund, da kommen Zweifel an der Echtheit eines Schlüsseldokumentes auf. Plötzlich muss sich Mary Mapes rechtfertigen. Vor den Obrigkeiten, vor der Verlagsleitung, vor der Öffentlichkeit. Der Moment der Wahrheit schlägt in eine ähnliche Kerbe wie Kill The Messenger: Der Überbringer schlechter Nachrichten wird zum Nestbeschmutzer. Während Kill The Messenger zum mehr Thriller tendiert, geht Der Moment der Wahrheit dezidiert auf jene Kräfte ein, die in unserer heutigen Zeit auf den Journalismus einwirken. Kein klassisches Lehrstück, vielmehr ein Gegenentwurf zum im selben Jahr erschienen Spotlight, der den Journalismus nicht als losgelöste Institution, sondern als Teil eines immer komplizierteren Systems dargestellt. Ganz starkes, hierzulande leider übersehenes Kino.
Philomena
Der renommierte Polit-Reporter Martin Sixsmith (Steeve Coogan) sucht nach dem unsanften Ende seiner Regierungstätigkeit nach einem Projekt, auf das er sich stürzen kann. Eigentlich plant er, ein Standardwerk über russische Geschichte zu verfassen, da wird er auf den Fall der Philomena Lee (Judi Dench) aufmerksam. Als die inzwischen betagte Dame eine junge Frau war, raubte die katholische Kirche ihren Sohn. Sixsmith lässt sich nur widerwillig auf diese Story ein. Doch das vermeintliche Human Interest-Rührstück entpuppt sich als der Ausgangspunkt einer Recherche, die einen flächendeckenden Kinderklau enthüllt. Abgesehen von einigen Dramatisierungen (die der katholischen Kirche übel aufstießen) hat sich die Geschichte der Philomena so zugetragen.
The Program
Lance Armstrong hätte der größte Radfahrer aller Zeiten sein können. Stattdessen bleibt er als einer der größten Sportbetrüger in Erinnerung. Gleich siebenmal in Folge gewinnt der Amerikaner die Tour De France. Heute klafft auf dem Siegertableau zwischen den Jahren 1999 bis 2005 eine Lücke. Nach seinem Rücktritt vom Ruhestand wird Armstrong des Dopings überführt, die Siege werden ihm allesamt aberkannt. Allerdings hätte dieser Skandal nie so erdrutschartig losbrechen müssen. Bereits 1999 äußert der Sportjournalist David Walsh Zweifel an der plötzlichen Leistungsexplosion des Texaners. The Program basiert auf Walsh‘ Buch Seven Deadly Sins und rast dabei in Bestzeit durch Armstrong Radkarriere – von der Geburt einer Legende bis zu ihrer Demontage in 103 Minuten. Tolle schauspielerische Performances (allen voran Ben Foster als radelnder Mobster Armstrong) und spektakuläre Rennszenen bringen den Film sicher ins Ziel. Was die journalistische Darstellung betrifft: The Program ist weniger an der Aufarbeitung eines sportjournalistischen Scoops interessiert, sondern vielmehr an der Entglorifizierung eines Dopingsünders, der zwischenzeitlich wie ein Heiliger verehrt wurde.
Schtonk!
Hitler sells. Denkt sich auch Der Stern, als er 1983 die Tagebücher des Führers veröffentlicht. Dumm nur, dass das Gruner + Jahr-Flaggschiff auf Falsifikate des Kunstfälschers Konrad Kujau hineinfällt. Die Veröffentlichung der falschen Hitler-Tagebücher geht als eine der größten Blamagen in die Geschichte des Journalismus ein. Regisseur Helmut Dietl arbeitet Anfang der 1990er-Jahre den kruden Führerkult und das schizophrene Verhältnis der Deutschen zur Nazi-Vergangenheit in seinem Film Schtonk! (Ein Wort, das in Chaplins Hitler-Parodie Der große Diktator fällt) heraus. Dietl tauscht die echten Personen gegen fiktive Figuren aus und überzeichnet sie gnadenlos. Und doch orientiert sich die Satire sehr genau an der Chronologie der echten Ereignisse. So abstrus das ist, was wir in Schtonk! zu sehen bekommen – das Wissen darum, dass fast jede Szene einen wahren Kern besitzt, lässt die Realität umso absurder erscheinen. Höhepunkt ist der Triumph des Journalisten Hermann Willié (Götz George), der auf der Pressekonferenz selbst zur Führerkarikatur mutiert. Ein Klassiker des deutschen Kinos.
The Secret Man
Die Unbestechlichen von der Gegengerade aus betrachtet: The Secret Man erzählt die Ereignisse der Watergate-Affäre aus der Sicht des mittlerweile enttarnten Whistleblowers Deep Throat. Hinter diesem schlüpfrigen Decknamen verbarg sich der hohe FBI-Verantwortliche Mark Felt, den – so suggeriert es der Film – sein Ehrgefühl dazu veranlasste, Nixons Beschattungs- und Vertuschungsmachenschaften publik zu machen. Es kommt zu einem nächtlichen Treffen mit dem jungen Washington Post-Reporter Bob Woodward, das ganz anders abläuft, als in Alan Pakulas Journalisten-Epos von 1976. Kein Wunder: Deep Throat (gespielt von Liam Neeson) bekommt in The Secret Man nicht nur ein Gesicht, sondern auch eine Agenda spendiert.
Shattered Glass
Ein Junge träumt von der großen Karriere als Pulitzer-Preisträger. Doch es kommt anders: Mit gerade mal Mitte zwanzig geht Stephen Glass als einer der größten Betrüger in die Geschichte des US-Journalismus ein. Als Schreiber für das Politmagazin The New Republic verfasst er eine Reihe von Beiträgen, die er mit fiktiven Fakten, falschen Quellen und erfundenen Zitaten anreichert. Lange bleibt die Schummelei unentdeckt, auch weil die hauseigene Qualitätskontrolle nicht existente Firmen und Behörden durchwinkt. Immerhin kann Glass Visitenkarten, Aktennotizen und dilettantisch gefakte Websites vorlegen – dass ein pathologischer Lügner alles tut, um seine Version der Wahrheit zu schützen, daran denkt niemand. Erst als die Konkurrenz endlich mal eine gescheite Suchmaschine bemüht, fliegt der journalistische Münchhausen auf. Shattered Glass ist die filmische Aufbereitung eines Journalistenskandals – einer, der längst kein Einzelfall ist (und nicht zuletzt frappierend an den Fall Relotius erinnert). Stark gespielt, allen voran von Hayden Christensen und Peter Sarsgaard.
Spotlight
Spotlight erzählt die wahre Geschichte des gleichnamigen Rechercheteams beim Boston Globe. Angestupst von den Redaktionschef Martin Baron (Liev Schreiber), der die Zeitung wieder unverzichtbar machen möchte, gehen die investigativen Journalisten um Walter Robinson einem Missbrauchsfall in der katholischen Kirche nach. Schnell stellt sich heraus, dass es sich hier nicht um Einzelfall handelt – nach und nach ergibt sich das Bild eines flächendeckenden Missbrauchs. Spotlight zeigt, wozu der Journalismus in der Lage ist, wenn er sich auf seine Basics besinnt. Dabei geht Regisseur Tom McCarthy sehr sensibel mit der Thematik um, er porträtiert einen Journalismus im Dienste der Menschlichkeit – ohne Sensationsgier, ohne große Tränendrückermomente. Als Journalistenfilm wirkt Spotlight, dessen Geschichte zu Beginn der 2000er-Jahre spielt, jedoch aus der Zeit gefallen. Er zeigt ein Redaktionsteam, das weitestgehend frei von allen äußeren Einflüssen (der neue Chef Martin Baron hält schützend seine Hand über Spotlight) recherchieren darf. Der im selben Jahr erschienene Der Moment der Wahrheit etwa spiegelt die Lebenswirklichkeit heutiger Journalisten eher wider als der nostalgisch anmutende Oscargewinner von 2016. Was den Film allerdings nicht schmälern soll: Spotlight ist ein hervorragendes und einfühlsames Plädoyer für funktionierenden Journalismus.
True Story – Spiel um Macht
Michael Finkel trifft Michael Finkel. Michael Finkel (Jonah Hill), ein in Ungnade gefallener Journalist, besucht im Gefängnis den mutmaßlichen Familienmörder Christian Longo (James Franco), der sich bei seiner Verhaftung als Michael Finkel ausgab. Die beiden schließen eine Abmachung: Finkel lehrt Longo das Schreiben, dafür erhält der Reporter die Exklusivrechte an seinem Fall. Die Aussicht auf ein journalistisches Comeback und eine makabere Verbundenheit zu Longo machen ihn blind für die Fallstricke dieser Zusammenarbeit. True Story – der Titel des Films ist doppelbödig. Denn der Film beruht auf der Geschichte des echten Michael Finkel, der es mit der Wahrheit nicht genau nahm.
Die Unbestechlichen
Journalisten im Film gab es vorher, aber dieser hier definiert das Genre. Die Unbestechlichen ist die Urmutter aller Journalistenfilme. Ein Lehrstück, Vorbild und Inspiration für eine ganze Generation von Journalisten, das auch heute noch, 40 Jahre nach Erscheinen, wichtige Aspekte des Journalismus verhandelt. Im Blickpunkt steht der wohl bekannteste Zeitungs-Scoop in der Geschichte des investigativen Journalismus: Zwei grünschnäbelige Reporter der Washington Post, Bob Woodward und Carl Bernstein (gespielt von Robert Redford und Dustin Hoffman), bringen die präsidialen Schweinereien des mächtigen Mannes der Welt ans Licht. Richard Nixon wird später über die Watergate-Affäre stolpern. Bevor es so weit kommt, fährt der Film den Abspann ab. Das Ende ist ohnehin bekannt (erst recht aus heutiger Sicht – jetzt, wo der legendäre Whistleblower Deep Throat enttarnt ist), der Film bezieht seine Spannung aus dem Prozess der Recherche heraus. Wie bei einer Detektivgeschichte, bei der der Täter von Beginn an bekannt ist. Auch wenn die Sehgewohnheiten heute andere sind – Die Unbestechlichen ist und bleibt ein Meisterwerk. Punkt.
Die Verlegerin
Stell’ Dir vor, deine Redaktion gräbt eine Wahnsinnsgeschichte aus, doch der Scoop kommt ungelegen. Mit dieser Situation sieht sich Washington Post-Verlegerin Katherin Graham (im Film gespielt von Meryl Streep) 1971 konfrontiert. Durch den plötzlichen Tod ihres Mannes erst in die Führungsposition „gerutscht“, soll Graham den Börsengang ihrer Zeitung eintüten. Parallel erfährt die Redaktion um Chefredakteur Ben Bradlee (Tom Hanks) von der Existenz der Pentagon Papers – Beleg für die Fehler und Lügen, die sich die USA hinsichtlich ihrer Verwicklung in Südostasien erlaubten. Da die US-Regierung die Verschluss dieser Dokumente als notwendig für die nationale Sicherheit deklariert, schwebt die drohende Veröffentlichung wie ein Damoklesschwert über dem wichtigen Business-Deal. Die Verlegerin ist eine routinierte, nostalgisch-wohlige Geschichtsstunde à la Steven Spielberg.
Zodiac – Die Spur des Killers
Leserbrief vom Killer: Mit seinen Mordtaten und Mitteilungen an die örtliche Presse hält der Zodiac-Killer Ende der 1960er-Jahre den Großraum San Francisco in Atem. Die Mordserie ist bis heute nicht aufgeklärt – was die Faszination an diesen Verbrechen ausmacht. David Fincher versucht gar nicht, uns eine mögliche Lösung aufzutischen. Er konzentriert sich stattdessen auf die Menschen, die diesen Fall bearbeiten. Dazu gehört auch der ehemalige Karikaturist des San Francisco Chronicle, Robert Graysmith (gespielt von Jake Gyllenhaal), der tief in die Abgründe der Psyche des Killers hinunterzusteigen versucht. Zodiac – Die Spur des Killers ist ein Film über den Hype und die Besessenheit, die dieser Hype auslösen kann. Obwohl die eigentlichen Geschehnisse über 50 Jahre zurückliegen, wirft der Film aktuelle Fragen zur Funktionsweise der Medien auf, insbesondere zur Transparenz und Legitimation von Sensationsberichterstattung. Etwas zu lang geraten, aber in jedem Fall sehenswert.
Journalistenfilme, die lose auf wahren Begebenheiten beruhen:
Almost Famous
William Miller träumt den Traum vieler Teenager: Als Jugendlicher geht er mit der (fiktiven) Band Stillwater auf Tour. Der Nachwuchs-Rock’n’Roll-Reporter schreibt im Auftrag des legendären Rolling Stone-Magazins eine Reportage – und lernt dabei sehr viel über Freundschaft, Zusammenhalt und die Liebe. Regisseur Cameron Crowe verarbeitet in Almost Famous Autobiographisches: Als 16-jähriger Nachwuchsjournalist begleitete er die Allman Brothers. Ein warmherziger Film über ein hartes Business – für Freunde der gepflegten Gitarrenmusik und alle, die fürs Kulturressort zuständig sind.
Das Boot
Wolfgang Petersen maritimes Kriegsepos: Der junge Leutnant Werner (Herbert Grönemeier) steigt als Kriegsberichterstatter an Bord des Unterseebootes U 96, das zur nächsten Feindfahrt ausläuft. Bislang kennt Werner den Krieg nur aus den verklärenden Bildern der Wochenschau – das wird sich in kommenden Tagen, tief unter der Wasseroberfläche, grundlegend ändern… Leutnant Werner ist das Alter Ego von Lothar-Günther Buchheim, der in der Buchvorlage seine Erlebnisse als Berichterstatter verarbeitet hat. Mit Petersens Umsetzung war der Autor nicht zufrieden: Das Boot sei ein Kinderfilm geworden, klagte er.
The Champ
Erik Kernan (Josh Hartnett) wittert seinen Durchbruch in der Magazinsparte: Der Sportreporter glaubt in einem Obdachlosen (Samuel J. Jackson), der sich wacker gegen eine Bande Jugendliche zur Wehr setzt, den ehemaligen Knockout-Champion Bob Satterfield zu erkennen. Die Story hat jedoch einen Haken: Satterfield liegt bereits seit einigen Jahren unter der Erde. The Champ ist Medienkritik ohne Tiefschläge, ein Appell an die journalistische Sorgfalt. Rod Lurie (siehe auch Nichts als die Wahrheit, etwas weiter unten in dieser Liste) wurde durch einen Artikel über den in Vergessenheit geratenen Boxer Satterfield inspiriert. Der Rest fällt unter die Prämisse „Was wäre, wenn…“.
Cronicas
Journalistenthriller aus Ecuador – Cronicas ist so etwas wie der gewaltsame Versuch, einen Auslandsoscar in den südamerikanischen Andenstaat zu entführen. Man nehme eine Starbesetzung (u.a. John Leguizamo, Alfred Molina) und stricke eine Geschichte um einen Serienkiller, den es in Wirklichkeit gegeben hat. Vorbild für den Mörder in Cronicas ist Pedro Alfonso López, auch bekannt als das Monster der Anden, das über 300 Menschen in Südamerika auf dem Gewissen haben soll. Das war’s aber schon mit den Parallelen zur Wirklichkeit. Mit dem Oscar hat’s nicht geklappt. Dafür haben wir von journalistenfilme.de zu Ehren von Manolo Bonilla, den journalistischen Schwerenöter in Cronicas, den Goldenen Bonilla ins Leben gerufen – für herrlich beschissene Recherchemethoden. Und damit der ecuadorianische Film endlich einen anständigen Preis gewinnt.
Fear and Loathing in Las Vegas
Was sich auf seinem Trip in die Abgründe der Spielerstadt Las Vegas zugetragen hat und was nicht, das wusste nur Hunter S. Thompson selbst. Wenn überhaupt. Fear and Loathing in Las Vegas ist der drogengeschwängerte Erlebnisbericht des Gonzo-Journalisten, der sich einst auf die Suche nach den Resten des amerikanischen Traums begab. Kreativkopf Terry Gilliam brachte die lange als unverfilmbar geltenden Ergüsse mit Johnny Depp in der Hauptrolle auf die Leinwand – und schuf damit einen Kultklassiker.
Hunting Party
Aus einer Schnapsidee wird Ernst. In seinem Artikel What I did on my summer vacation erzählt der Journalist Scott Anderson, wie er und seine Kollegen die fixe Idee fassten, Radovan Karadžić gefangen zu nehmen. Es ist das Jahr 2000, vier Jahre nach dem Kriegende im ehemaligen Jugoslawien. Bisher hat noch niemand so richtig Lust gehabt, den Kriegsverbrecher zu verhaften. So scheint es. Schließlich ist der Gesuchte gar nicht so schwer aufzufinden, wie Anderson und Kollegen feststellen. Bis die CIA einschreitet und die Journalisten zurückpfeift. Ein Skandal, der im echten Leben für Wirbel sorgte. Der Film Hunting Party, der auf Andersons Reisebericht beruht, plätschert hingegen vor sich hin. Auch weil er sich hinter einem fiktionalisierten Setting versteckt und so nicht ersichtlich ist, welche Ereignisse der Wahrheit entsprechen und was in abenteuerlicher Erregung aufgebauscht wurde.
The Infiltrator
In den 1990er-Jahren geht Yaron Svoray in Deutschland dem Verbleib verschollener Diamanten aus jüdischem Privatbesitz nach. Während seiner Recherchen knüpft der israelische Journalist Kontakte zum organisierten Rechtsextremismus. Gedeckt vom Simon Wiesenthal Center gibt er sich als australischer Gönner aus, um einen tieferen Einblick in die Strukturen zu gewinnen. Seine Erkenntnisse ebnen sogar den Weg zur Verhaftung des Kriegsverbrechers Erich Priebke in Südamerika. Seitdem kultiviert Svoray seinen Ruf als Nazi-Jäger. The Infiltrator ist die reißerische Adaption seines Recherche-Berichts Hitler’s Shadow: An Isreali’s journey inside Germany’s neo nazi movement (deutsch: In der Höhle des Löwen).
Nichts als die Wahrheit
Rachel Armstrong (Kate Beckinsale) muss in Beugehaft, weil sie ihre Quelle – und damit journalistische Prinzipien – nicht verraten will. Die Geschichte um eine enttarnte Geheimdienst-Agentin und das Spannungsverhältnis Nationale Sicherheit vs. Freiheit der Presse ist inspiriert von den Ereignissen der so genannten Plame-Affäre. Allerdings sind sämtliche Figuren in Rod Luries beachtenswertem Drama fiktionalisiert – wohl auch, weil die Rolle der Journalistin Judith Miller, gedankliche Patin für die Figur der Rachel Armstrong, in den USA sehr ambivalent gesehen wird.
Operation Comeback
Ein Journalist taucht durch den Mekong, um seine Geliebte aus dem abgeriegelten Laos zu befreien. Diese Begebenheit ist wahr: Der australische Journalist John Everingham brachte so seine Frau Keo Sirisomphone nach Thailand. Doch was Hall Bartlett aus der Vorlage machte, hat mit der wahren Geschichte nicht mehr viel zu tun. Anstatt einen biographisch angehauchten Thriller zu inszenieren, entschied sich der Regisseur für die Variante „Der Geist von Reagan weht durch ein südostasiatisches Liebesdreieck und enthält Spurenelemente so erfolgreicher Blockbuster wie Rocky und Der weiße Hai.“ Unter dem Gesichtspunkt der Kuriosität ist Operation Comeback (a.k.a. Love is Forever) einen Blick wert. „It was full of tired old chlichés about the bad Commies, and the good guys fighting their evil“, urteilte der echte John Everingham.
Der Reporter
Leon Bernstein, in der Branche bekannt als der „große Bernzini“ (Joe Pesci), verdient im New York der 1940er-Jahre sein Geld mit sensationslüsternen Blaulichtfotos. Durch seine Kamera betrachtet er die Verbrechen aus der Distanz. Doch dann wird der Fotograf selbst in einen Kriminalfall verwickelt. Der Reporter ist der Graf Orlok des Journalistenfilms. Wie einst Friedrich W. Murnau, der die Geschichte von Dracula verfilmen wollte, die Rechte an dem Roman allerdings nie erhielt, plante Regisseur Howard Franklin zunächst einen Film über die Fotografen-Legende Arthur Fellig (1899 bis 1968). Ohne die Freigabe der Fellig-Familie wurde Arthur Fellig jedoch zu Leon Bernstein, statt einer Biographie inszenierte Franklin einen sehenswerten Neo-Noir im Stile von Chinatown. Ansonsten macht sich Der Reporter wenig Mühe, seine Inspiration zu verleugnen.
Under Fire
Under Fire erzählt die Geschichte des Kriegsfotografen Russell Price (Nick Nolte), der in Nicaragua zwischen die Fronten von Regime und Rebellen gerät. Anfangs noch betont objektiv, ergreift der markige Price Partei – anschließend ist nicht nur seine Presseakkreditierung in Gefahr. Regisseur Roger Spottiswoode kritisierte mit dem Film die bigotte Lateinamerika-Politik der USA. Die Handlung ist fiktiv, aber von realen Vorbildern und wahren Ereignissen inspiriert. Hauptfigur Price ist angelehnt an Matthew Naythons – ein Fotoreporter, der aufhörte, die Welt allein durch das Objektiv seiner Kamera zu betrachten und sich für humanitäre Zwecke einsetzte. Auch die Ermordung des Moderators Alex Graziers (Gene Hackman) mit ihren weitreichenden Folgen findet ihre Entsprechung in der Realität. Am 20. Juni 1979 erschossen Somozas Nationale Gardisten den ABC-Reporter Bill Stewart.
Whiskey Tango Foxtrot
Plötzlich Kriegsreporterin. Weil der bevorstehende Irak-Krieg sämtliche Korrespondenten wuschig macht und niemand gern in Afghanistan festhängt, wenn am Golf Saddams Hütte brennt, kommt die naive Nachrichtenredakteurin Kim Baker in den Genuss eines Auslandseinsatzes am Hindukusch. Wo alle Welt erstmal ficken will. Damit der Film dem WTF im Titel auch ja gerecht wird. Whiskey Tango Foxtrot basiert auf den Memoiren (The Taliban Shuffle) der Auslandsreporterin Kim Barker (nur echt mit einem „r“) – und könnte eigentlich ganz ordentlich sein, liefert er doch ein paar brauchbaren Szenen sowie Aussagen zur Funktionsweise des Embedded Journalism. Was nach einer unlustigen Stereotypen-Revue im ersten Drittel gleichermaßen überraschend wie zu spät kommt.
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