Am Scheideweg: Erik Kernan, Sportreporter der Denver Times, lebt in Trennung, beruflich steckt der Sohn einer Kommentatorenlegende in der Sinnkrise.
Am Scheideweg: Erik Kernan, Sportreporter der Denver Times, lebt in Trennung, beruflich steckt der Sohn einer Kommentatorenlegende in der Sinnkrise.
Eines Abends stolpert er in einer Seitenstraße über einen Obdachlosen, der gerade von einigen Kids vermöbelt wurde. Der Angegriffene gibt vor, der Knockout-Champion Bob Satterfield zu sein. Jahrelang war der Boxer von der Bildfläche verschwunden – Kernan wittert die ganz große Story. Doch bald darauf steht seine journalistische Integrität in Frage. The Champ (OT: Resurrecting The Champ) vereint Sport-, Journalisten- und Familiendrama in einem Film.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Ascot Elite.
Wenn Söhne ihren Vätern nacheifern: Erik Kernans (Josh Hartnett, Sin City) Dad war einst ein berühmter Boxsportkommentator. Doch gemessen an den väterlichen Fußstapfen fristet der Spross ein publizistisches Schattendasein als mittelmäßiger Ergebnisberichterstatter. Sein Sportjournalismus besteht im Wesentlichen darin, festzuhalten, ob ein Kontrahent durch einen linken oder aber einen rechten Haken auf die Bretter geschickt wurde. Anspruch und Realität klaffen weit auseinander.
Anspruch und Realität klaffen weit auseinander
Seinem eigenen Sohn erzählt Erik von seinen Treffen mit den Größen des US-Sports, in Wahrheit winkt er ihnen von weitem zu. Und es sieht nicht danach aus, als würde sich in naher Zukunft etwas an diesem Zustand ändern. Der Chefredakteur weiß um das Talent seines Mitarbeiters, vermisst jedoch das Feuer in seiner Schreibe: „Du bist der Beste, wenn es darum geht, Seiten zu füllen. Du lieferst viele Zeilen, aber wenig Inhalt“, versucht er Erik Kernan zu kitzeln. Doch der ambitionierte Journalist hört aus diesen Worten nur Ablehnung heraus.
Kernan hält daher nach Karrieremöglichkeiten abseits der Zeitungsredaktion Ausschau. Er liebäugelt mit einem Engagement für das Beilagen-Magazin. Beilagen-Magazin, das bedeutet Hochglanz, überregionale Aufmerksamkeit und die Aussicht, aus dem Lokaljournalismus auszubrechen. Allerdings muss sich der wechselwillige Reporter eingestehen, dass es ihm an originellen Ideen mangelt. Da beobachtet er Anschluss an einen Boxkampf, wie sich ein Obdachloser (Samuel L. Jackson, Pulp Fiction) gegen eine Gruppe Halbstarker wehrt.
Der vergessene Boxer von der Straße
Der Mann von der Straße steckt ordentlich ein, zeigt aber auch einige bemerkenswerte Schwinger. Im Gespräch mit dem Herumtreiber, der sich selbst der „Champ“ nennt, glaubt Kernan den Knockout-Champion Bob Satterfield zu erkennen, von dem es heißt, er sei bereits verstorben. Darauf angesprochen, ziert sich der Obdachlose zunächst, bestätigt aber schließlich der wahrhaftige Satterfield sein. Weil der Champ fundierte Ringstatistiken und Anekdoten aus der Hochzeit des Boxers, der einst gegen Jake LaMotta (der aus Martin Scorseses Wie ein wilder Stier) antrat, aus der Hüfte schießt, schiebt der Schreiberling letzte Zweifel beiseite: Satterfield lebt, und zwar auf den Straßen Denvers.
Der abgestürzte Boxer soll der Aufhänger in Kernans Magazin-Geschichte sein. Der Verleger ist von dieser Idee ganz begeistert. Der Dramaturgie wegen ziert sich Satterfield ein wenig, nicht zuletzt weil ihn ausgerechnet Kernans Vater, der große Boxkommentator, nach einer mäßigen Leistung harsch „angeschissen“ haben will. Doch der Sohnemann gelobt Wiedergutmachung und klopft seinen Protagonisten in spe mit Schmeicheleien und den Erinnerungen an den Ruhm vergangener Tage weich. Es gelingt ihm sogar, ein altes Tape von einem Fight gegen einen lokalen Boxer namens Tommy Kincaid aufzutreiben. „Die Leute werden Sie wiedererkennen und sagen: Hier kommt der Champ“, schwärmt Kernan und kommt damit hinter die Deckung des alternden Mannes. Der Champ hat jedoch eine letzte Bitte: Kernan müsse versprechen, seine Frau, zu der er nach einer Tingeltour als Show- und Kirmesboxer nie zurückgekehrt war, aus der Geschichte herauszuhalten.
Der Journalist holt sich eine blutige Nase
Kein Problem, sagt sich Erik Kernan. Zumal Satterfield noch einen Sohn hat, der die Kontaktversuche des Reporters allerdings ins Leere laufen lässt. Macht nichts, der Artikel schreibt sich auch so. Die Veröffentlichung ist ein Erfolg: Die Resonanz in der Leser- und Medienlandschaft ist immens, der Beilagen-Chef begeistert und ein Kabelsender gewillt, den Sohn einer Reporterlegende als Ringinterviewer für einen landesweit ausgestrahlten Boxkampf zu engagieren. Kurz: Es läuft. Sogar familiär: Sein Sohn Teddy schaut zu ihm herauf und seine Frau scheint einem Liebes-Comeback nicht ganz abgeneigt.
Nur der Chefredakteur der Denver Times schaut griesgrämig drein, denn der hatte keine Kenntnis über Kernans Recherchen. Doch das ist dem neuen Reporter-Star am Sternenhimmel gerade ziemlich egal.
Bis zu dem Tag, an dem er ins Verlagshaus gebeten wird und Satterfields Sohn nebst Anwalt gegenübersitzt. Was der zu berichten weiß, stutzt dem Überflieger die Flügel: Bob Satterfield verstarb bereits vor Jahren an Krebs. Der Mann, den Kernan porträtierte, ist offensichtlich ein Hochstapler – plötzlich muss der Journalist weitreichende Entscheidungen treffen.
Seine Veröffentlichung bringt Kernan in Nöte
The Champ ist ein Film über die schmale Gratwanderung zwischen journalistischer Sorgfalt und Publikationsdruck. „Wer schreibt, der bleibt“, heißt eine bekannte Redensart, die insbesondere im Journalismus ihre Gültigkeit besitzt. Die Off-Stimme Kernans zu Beginn des Films vergleicht die Entstehung eines Artikels mit einem Boxkampf, „eine Veröffentlichung ist wie in den Ring steigen“. Mit Gegenwehr ist zu rechnen, die Frage ist: Wie vorbereitet ist man, um nicht frühzeitig zu Boden zu gehen? Sorgfalt war für die Glaubwürdigkeit der berichtenden Zunft schon immer wichtig, heute jedoch umso mehr, wenn man bedenkt, wie transparent journalistische Arbeit in unserer vernetzten Welt geworden ist.
Früher verließen sich Leserinnen und Leser mehr oder minder auf das, was in der Zeitung stand. Heute lassen sich Fakten von jedem Ort der Welt gegenchecken und den Recherchen eines Einzelnen steht das geballte Wissen einer Schwarmintelligenz gegenüber. Wer da nicht pariert, erweist seinem Berufsstand – in Zeiten von Fake News und schwindenden Vertrauens in die Presse – einen Bärendienst, Shitstorm inklusive.
Die Fehler der Anderen
Auffällig häufig erzählt der Journalistenfilm der jüngeren Vergangenheit – abgesehen von den großen Best Practices wie Spotlight (2015) oder Die Verlegerin (2017) – von journalistischen Luftschlägen. Was der Journalismus im besten Fall bewirken kann, wissen die allermeisten. Interessant wird’s, wenn’s schief läuft – die Branche unterliegt ihrem eigenen Regelkreis. Shattered Glass (2003), True Story (2015) oder Der Moment der Wahrheit (ebenfalls 2015) sind prominente Beispiele der Marke journalism gone wrong. Wobei sich die Ursachen und Motive durchaus unterscheiden.
Das Recherche-Team um Mary Mapes beispielsweise befindet sich in Der Moment der Wahrheit auf der richtigen Spur, bringt sich allerdings um den eigenen Lohn, weil es seine Beweiskette an einem gefälschten, womöglich lancierten Dokument aufhängt. In True Story erliegt Michael Finkel dem Mordverdächtigen Christian Longo, weil er glaubt, in ihm einen Seelenverwandten zu erkennen. Stephen Glass aus Shattered Glass wird in dem Bestreben, immer bessere, immer originellere Geschichten aufzuschreiben, zum notorischen Lügner. Und dann ist da ja noch Hermann Willié aus Schtonk! (1992), das satirische Alter Ego des echten Stern-Reporters Gerd Heidemann, den der Glauben an die braune Sensation blind gemacht hat.
The Champ und das konstruierte Dilemma
The Champ ähnelt diesen Beispielen – und doch unterscheidet er sich von ihnen. Wie die oben genannten Filme basiert er auf echten Vorkommnissen, wenn auch nur lose. Die Inspiration lieferten die Erzählungen des Journalisten J.R: Moehringer. 1997 veröffentlichte der in der Los Angeles Times einen Artikel über den echten Bob Satterfield, der nach seiner Karriere abstürzte. auf der Straße lebte und schließlich 1977, weitestgehend vergessen, an Krebs verstarb. The Champ strickt die Geschichte weiter: Was wäre, wenn jemand die Identität eines von der Bildfläche verschwundenen Menschen annähme?
Das Dilemma in The Champ ist ein konstruiertes. Und doch wirken die Irrungen und Wirrungen in diesem Drama menschlicher als in manch’ wahrer Begebenheit, die sich nur schwer nachvollziehen lässt. Es gibt keine biographischen Spekulationen, die Motive der Figuren sind, allen Verfehlungen zum Trotz, schlüssig. Auf der einen Seite der einsame Ex-Boxer, der aus einer (bereits erprobten) Notlüge zumindest kurzfristig Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse schöpft. Auf der anderen Seite der rastlose Journalist, der sich nur durch eigene Überhöhung aus dem Griff des verstorbenen, aber noch immer omnipräsenten Vaters zu helfen weiß und feststellen muss, welche Bürde er seinem eigenen Sohn eigentlich auferlegt.
Menschliches Versagen im Journalismus
The Champ relativiert das Versagen Kernans nicht. Er verleiht diesem Versagen allerdings einen menschlichen Anstrich, indem er den äußeren Einflüssen klare, innere Empfindungen des Protagonisten zuordnet, die wiederum in nachvollziehbare Handlungen resultieren. So wissen wir etwa, dass Erik Kernan kein per se schlechter Journalist ist. Er drückt „lediglich“ beide Augen zu, damit seine Wahnsinnsgeschichte, der mögliche Karriere-Push und die Aussicht auf familiäre Rehabilitation (die Ehe der Kernans litt nicht zuletzt unter der anhaltenden Erfolglosigkeit des über-ehrgeizigen Vaters) nicht ins Wanken gerät.
Zu den nachvollziehbaren, nur allzu menschlichen Handlungen gehört auch, die Tragweite seines publizistischen Harakiris kleinzureden. Der Inhalt seines Artikel sei im Grunde genommen wahr, erklärt Erik Kernan, schließlich gehe es in seiner Geschichte um ehemaligen Profi-Boxer, der außerhalb des Rings nie gelernt hat, über die Runden zu kommen. Und überhaupt: „Was denkst Du, wie viele der Millionen Zeitungen täglich mit Fehlinformationen aufmachen“, fährt Kernan seine Frau Joyce (Kathryn Morris) an. Doch weil sich die beiden einst in der Redaktion kennen und lieben lernten, spricht aus ihr nicht nur die Stimme familiärer, sondern auch die der beruflichen Vernunft.
Katharsis in der zehnten Runde
Um die Verantwortung kommt der Journalist in The Champ ohnehin nicht herum, sonst gäbe es ja hier und heute nichts mitzunehmen. „Von einem Journalisten kann man erwarten, dass er sorgfältig recherchiert“, apostelt der Sohn des echten Satterfield, um im nächsten Moment Güte zu beweisen. Gerade noch gewillt, Kernans Allerwertesten wegzuklagen, ermöglicht Satterfield jr. ihm die Chance, reinen Tisch zu machen. Die Katharsis als Happy End. Das ist wenig einfallsreich, aber reichlich bodenständig.
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