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Bad Boy Kummer (2010): Ist das Pop oder kann das weg?

Die Doku Bad Boy Kummer versucht, das Phänomen Tom Kummer zu ergründen. Der hatte in 90er-Jahren Interviews mit Stars fingiert.

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Die Doku Bad Boy Kummer versucht, das Phänomen Tom Kummer zu ergründen. Der hatte in 90er-Jahren Interviews mit Stars fingiert.

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Projektor Film.

Tom Kummer hatte sie alle. In den 1990er-Jahren interviewte der Schweizer die angesagtesten Stars aus Hollywood. Und wie! Er entlockte Sharon Stone homoerotische Fantasien, machte Charles Bronson zum passionierten Orchideen-Züchter (Überschrift: „Ein Mann sieht grün“) und ließ einen emeritierten Mike Tyson Einstein und Hemingway ins Felde führen. Doch es gab ein Problem: Diese Zeilen klangen zu gut, um wahr zu sein. Dachte sich auch ein Konkurrent, der anfing, Kummers Interviews zurück ins Amerikanische zu übersetzen, um die Agenten der Reihe nach mit den angeblichen Aussagen ihrer Klienten zu konfrontieren. So wurde Tom Kummer als Fälscher überführt. Die Entlarvung sorgte für ein Beben in den Chefetagen jener Publikationen, die seine Fake-Interviews abdruckten. Zum renommierten Reigen zählte unter anderem das Magazin der Süddeutschen Zeitung.

Zu den Gehörnten gehörte auch der Journalist Miklós Gimes. Als der Skandal aufflog, war Gimes als stellvertretender Chefredakteur der Magazinausgabe des schweizerischen Tages-Anzeigers tätig und somit Mit-Abnehmer von Kummers Texten. Gut 10 Jahre später macht sich Gimes mit der Kamera auf nach Los Angeles, um Tom Kummer „zu knacken“. Dort hatte sich der Autor, der heute wieder in seiner Heimat Basel lebt, zwischenzeitlich als Promi-Tennislehrer „mit Vergangenheit“ niedergelassen. „Was würdest Du Deinem Sohn sagen, wenn er Dich fragt, was Du in den 90er-Jahren gemacht hast?“, steigt Gimes ein. „Dass ich ein Bad Boy war …“, antwortet Kummer. Und demonstriert gleich, worum es ihm geht: um die Deutungshoheit.

Die Abwesenheit des Journalismus als Fingerzeig?

Miklós Gimes lässt ihn weitestgehend gewähren. Das fängt beim Titel an. Bad Boy Kummer heißt die Dokumentation, die mehr wie eine Home-Story daherkommt. Wohl auch, weil es nicht allzu viele Gegenstimmen gab, die vor die Kamera treten wollten.  Als Journalist habe man besser nichts mit Tom Kummer zu schaffen, hätten ihm einige Kollegen empfohlen. Eine mit gut gemeintem Rat garnierte Absage? Oder vielmehr eine Schutzbehauptung? Weil sich die Beteiligten sonst eingestehen müssten, dass Kummer gerade deswegen zum notorischen Fälscher werden konnte, weil man ihn jahrelang unbehelligt fälschen ließ? Das ist zumindest die These, der Gimes zu folgen beginnt, nachdem er einige Zeit mit Tom Kummer und dessen Familie verbracht hat.

Womöglich ist da was dran. So wie später einmal die „Large than Life“-Reportagen eines gewissen Claas Relotius für Begeisterungsstürme in den Verlagshäusern sorgen werden, trafen auch Kummers Interviews einen redaktionellen Nerv. Ehemalige Redaktionsmitglieder aus der zweiten Reihe deuten vor der Kamera an, was nicht sein darf: Dass so mancher Chefredakteur das Risiko in Kauf nahm, kein komplett fiktives, jedoch mindestens ein dramaturgisch frisiertes Interview ins Blatt zu hieven, zugunsten der Auflage und des Prestiges.

Tom Kummer im Gespräche mit Regisseur Miklós Gimes: „So blöd kann niemand sein, zu glauben, dass ich das wirklich so, echt 1:1, geliefert bekommen habe“.
Tom Kummer im Gespräche mit Regisseur Miklós Gimes: „So blöd kann niemand sein, zu glauben, dass ich das wirklich so, echt 1:1, geliefert bekommen habe“.

Tom Kummer – Zulieferer einer Nachfrage?

In den 1990er-Jahren herrschte eine Sehnsucht nach intellektuellem Popkulturjournalismus. Tom Kummer stillte sie mit seinen geschliffenen Zeilen, die er den Stars in den Mund legte. Wenn der Urheber genüsslich-schwelgend aus seinen gefälschten Interviews vorliest und Eigenlob für seine kreativen Einfälle von damals spendiert, kommt man aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Wie konnte dieser, zugegeben wohlfeil formulierte, Schwachfug redaktionell durchrutschen? Oder, wie ein Weggefährte einwirft: Wollte es wirklich niemandem auffallen, dass Mike Tyson, diese fleischgewordene Abrissbirne, plötzlich wie ein Pulitzer-Preisträger fabuliert?

Hörtipp: Drei Journalismusskandale. Die geschätzten Kollegen vom Lichtspielplatz widmeten u.a. Bad Boy Kummer eine Podcast-Folge.

Wie gesagt: Ist ein solcher Beschiss über mehrere Jahre hinweg möglich, dann sind redaktionelle Stuhlproben dringend angezeigt. Doch wird mit zunehmender Spieldauer deutlich, dass Regisseur Miklós Gimes dem Subjekt seiner Dokumentation erliegt. Kummer darf sich in den Gesprächen als Advokat eines verschwimmenden Journalismus inszenieren; als „Rulebreaker“, der aus dem Korsett eng getakteter Interview-Slots und nichtssagendem PR-Geplaudere ausbricht; als genialer Erfüllungsgehilfe einer stillschweigenden Vereinbarung zwischen „Interview-Produzent“, Redaktionen und Rezipienten, die letztlich um eines kreist: die bestmögliche Unterhaltung. Es sei allen klar gewesen, was er seinerzeit ablieferte.

Kummers Interviews bleiben seltsam folgenlos

Ein Freund adelt seinen alten Kumpel bei einem Wein als „ehrlichsten Lügner“. Kummer selbst wehrt sich, in einem Atemzug mit „echten“ journalistischen Betrügern wie Jayson Blair oder Stephen Glass (siehe auch Shattered Glass) genannt zu werden. Diese beiden hätten wichtige Menschheitsthemen gekapert, um ihr Publikum anzulügen. Dagegen seien Kummers Interviews Streiche gewesen, unbedeutende, aber lesenswerte Pranks.

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Allerdings: Seine Fälschungen waren mehr als nur Pranks. Vielmehr ein Bärendienst für die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Die Ereignisse rückblickend in gonzo’eskes Licht zu rücken, wird der Tragweite des Skandals nicht gerecht. Das ist wohl Gimes’ schwerstes Versäumnis – dass er in solchen Momenten nicht kritisch genug nachhakt, nicht vehementer widerspricht. Auch bleiben Kummers Fake-Interviews seltsam folgenlos, sieht man von personellen Konsequenzen in den Redaktionen ab. Alles wirkt im Kontext des Films wie eine rein brancheninterne Angelegenheit. Insofern ist Bad Boy Kummer entlarvend, weil er uns in einen journalistischen Kosmos blicken lässt, der sich vorwiegend um sich selbst dreht. Echter Erkenntnisgewinn allerdings sieht anders aus.

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