Weltgeschichte am Arsch der Welt: 1968 stürzt nahe der Thule Air Base eine B-52 Stratofortress der US Air Force ab.
Weltgeschichte am Arsch der Welt: 1968 stürzt nahe der Thule Air Base eine B-52 Stratofortress der US Air Force ab.
Die Ladung an Bord besitzt Sprengkraft, doch die Behörden spielen den Vorfall herunter. In der eisigen Steppe Grönlands kommt sowieso niemand nachsehen. 20 Jahre bleibt ein schmutziges Geheimnis des Kalten Krieges verborgen. Bis der dänische Journalist Poul Brink davon Wind bekommt und es an die Öffentlichkeit zerrt. The Idealist – Geheimakte Grönland hält die Geschichte für die Nachwelt fest. Der echte Poul Brink ist nicht mehr in der Lage, sie zu erzählen. Er erlag 2002 im Alter von nur 49 Jahren einem Herzinfarkt.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Lighthouse Home Entertainment.
Es ist was faul im Staate Dänemark – oder besser gesagt: im Königreich Dänemark. Grönland, seit 1953 unter eigener Verwaltung, steht nämlich bis heute unter dänischer Krone. 1951 wird die größte Insel der Welt noch schnell zum dänisch-amerikanischen Verteidigungsgebiet erklärt. Für die Vereinigten Staaten ergibt sich die Gelegenheit, Stützpunkte wie die Thule Air Base (76° 31′ 52” N, 68° 42′ 11” W) zu errichten.
Grönland ist für die USA von großer, strategischer Bedeutung. 1960 initiiert das Strategic Air Command der Air Force die Operation Chrome Dome – dahinter verbirgt sich eine Art Bereitschaftsdienst für den Dritten Weltkrieg. Bis zu zwölf, mit thermonuklearen Bomben bestückte, Flugzeuge patrouillieren von nun an in der Luft. Sollte der Kalte Krieg mit der Sowjetunion eskalieren, bleiben die USA handlungsfähig – sowohl im Falle eines Erst- als auch eines Gegenschlages. Die Thule Air Base stellt sicher, dass die Sowjetunion in Abwurfdistanz bleibt. Hier landen Bereitschaftsflieger der Operation Chrome Dome zwischen.
In der Pampa schlummert ein Geheimnis
Einer dieser Bomber stürzt im Januar 1968 unweit des grönländischen Stützpunktes ab. An Bord befinden sich vier Wasserstoffbomben. Das amerikanische Militär gibt vor, die Situation im Griff zu haben; auch die dänische Regierung bleibt gelassen, obwohl sie eine strikte Anti-Atomwaffen-Politik fährt und keine Sprengköpfe auf dänischen Boden toleriert. Aber Grönland ist weit vom dänischen Mutterland entfernt. Und überhaupt sind ja alle vier Bomben unversehrt geborgen worden.
Die Handlung von The Idealist – Geheimsache Grönland setzt – nach einer kurzen Einführung aus dokumentarischen Originalszenen – 20 Jahre nach dem Absturz in Grönland ein. Wir lernen Poul Brink kennen – und zwar gleich von seiner besten Seite: Der Journalist ist keiner, der Widerstände scheut. Die Kollegen stöhnen auf, wenn Poul Brink hinter jeder noch so kleinen Randnotiz eine Staatsaffäre wittert. „Ich bin eben immer sehr kritisch“, betont er – was weniger als Rechtfertigung gemeint ist, sondern als Vorwurf an seine recherchefaulen Reporterfreunde.
Der lasche Umgang mit der Strahlung
Diesmal ist Brink jedoch einem echten Skandal auf der Spur. Er erfährt, dass sich dänische Hilfsarbeiter, die an der Bergung des Flugzeugs beteiligt waren, in ärztlicher Behandlung befinden. Und zwar in einer Häufigkeit, die über das gesunde Maß der Statistik hinausgeht. Es scheint, als sei die Sache vor 20 Jahren doch nicht so sauber abgelaufen. Obwohl die Helfer gründlich gewaschen wurden, wie die Mediziner beteuern. Brink macht weitere Betroffene ausfindig, indem er in den Sender platzt, die Moderatorenkabine entert und live on air seinen schwerwiegenden Verdacht äußert. Kurz darauf steht das Telefon nicht still.
Fassungslos muss Brink feststellen, dass der Umgang mit der radioaktiven Fracht ein allzu sorgloser war. Diese blieb nicht, wie von offizieller Seite kolportiert, intakt. Die Bruchlandung löste die konventionellen Sprengladungen in den Atomwaffen aus, wodurch die nähere Umgebung kontaminiert wurde. Die Auswirkungen der Strahlung wurden von den handelnden Personen unterschätzt bzw. ignoriert, die Sicherheitsvorkehrungen für die Arbeiter lax gehandhabt.
[Zwei Sehempfehlungen an dieser Stelle: Silkwood mit Meryl Streep als Gewerkschaftsaktivistin Karen Silkwood, die sich gegen die Missstände in der Nuklearindustrie wehrt. Die geschätzten Kollegen von SchönerDenken haben das Schlaglicht der Blogosphäre im Zuge der Aktion #EinFilmVieleBlogger auf dieses Drama gerichtet. Für Serienfans interessant: Manhattan. Im Mittelpunkt steht eine Gruppe von Wissenschaftlern im Zweiten Weltkrieg, die am Bau der Atombombe beteiligt sind (siehe auch: Manhattan Project). Auch hier werden der fahrlässige Umgang mit radioaktivem Material und der Irrglaube, man könne der Strahlung einfach mit dem Schrubber beikommen, thematisiert.]
Bloß nicht vereinnahmen?
Die Indizien sind erdrückend, doch Senderchef Olé versucht, seinen Mitarbeiter einzufangen: „Poul, wir senden Nachrichten. Wir machen sie nicht.“ Die Aufmerksamkeit, die der kleine Radiosender zieht, ist ihm nicht geheuer, eine Konfrontation mit den Obrigkeiten möchte der Mann ganz offensichtlich nicht riskieren. Poul Brink macht seinem Boss aber unmissverständlich klar, dass er jetzt, wo er weitere Erkrankte und kompromittierende Dokumente gefunden hat, nicht aufhören werde: „Ich kann nicht nur weiter Kranke interviewen – ich benötige einen neuen Blickwinkel.“
Von niemanden vereinnahmen lassen, das ist Brinks Credo. Auch nicht von der Gegenseite der Betroffenen: Die dänischen Hilfsarbeiter von damals sehen in dem Journalisten einen Mitstreiter und ein Sprachrohr, mit dessen Hilfe sie sich endlich Gehör verschaffen können. Als Brink während eines Treffens einer Betroffeneninitiative aufgefordert wird, sich feiern zu lassen, betritt er nur widerwillig das Podium. Einen guten Journalisten erkenne man daran, sagte einst Hanns Joachim Friedrich, dass er sich mit keiner Sache gemein mache – auch nicht mit einer guten Sache. Der Reporter Brink fühlt sich (zunächst) einzig und allein der Wahrheit verpflichtet. Und je näher er dieser kommt, desto heftiger schlägt der Geigerzähler aus.
Sollbruchstellen in Brinks Idealismus
Bis zu diesem Zeitpunkt ist Poul Brink ganz und gar der titelgebende The Idealist. Der Mann ist unerschrocken, unbequem und unkorrumpierbar. Ein Don Quijote, der es mit den Windmühlen der Weltpolitik aufnimmt und sogar einen Sieg davon trägt. Klar: Brink ist Vor- und Idealbild eines Journalisten. An diesem Tenor ändert sich bis zum Abspann nichts, im Gegenteil. Der Film ist allerdings klug genug, realistische Sollbruchstellen in dem ideellen Habitus seines Protagonisten einzubauen.
Poul Brink wird nämlich mit zunehmender Spieldauer gezwungen, seinen eigenen Idealismus zu hinterfragen. Wahrheitsfindung geht schließlich mit Gerechtigkeit einher. Insofern wird sich der Journalist auf eine Seite schlagen müssen. Neutralität kann kein prinzipieller Baustein einer Weltanschauung sein. Poul Brink schlüpft in die Rolle, die er anfangs ablehnt (wenn er ehrlich zu sich wäre, müsste er feststellen, dass er diese Rolle schon lange ausfüllt – schließlich fremdelt er von der ersten Spielminute an mit der Staatsgewalt): Er wird zum Anwalt – für das dänische Volk im Allgemeinen, das sich hat täuschen lassen, für die betroffenen Arbeiter im Speziellem. Poul Brink pocht in seiner Berichterstattung auf Entschädigungszahlungen für die Erkrankten.
Poul Brink wird zum Anwalt
Seine Recherchemethoden fallen derweil immer konfrontativer aus. Sahen wir dem Journalisten anfangs dabei zu, wie er nach belastenden Dokumenten fahndet, nimmt er in der zweiten Hälfte des Films verstärkt die handelnden Personen ins Kreuzverhör. Was einerseits in der Natur der Sache liegt, mit belastbarem Material in der Hand lässt es sich schließlich offensiver recherchieren. Mit jeder neuen Erkenntnis wächst jedoch die Wut auf die Mächtigen, die ihrerseits Öl ins Feuer gießen: Sie dementieren, verschleiern und schüchtern Brink ein, worauf der wiederum allergisch reagiert. Der Journalist „revanchiert“ sich, indem er auf die Schwachstellen im System zielt. So erpresst Poul Brink etwa eine Vorzimmerdame, die sich verplappert hat und sich nun vor den Folgen ihrer Indiskretion fürchtet: „Wenn Sie mir das Memo zuschicken, dann verspreche ich Ihnen, Sie nicht zu zitieren.“ Die weiße Weste ist plötzlich nicht mehr rein.
Merke: Wer tief gräbt, der macht sich zwangsläufig schmutzig. Schließlich decken Journalisten wie Poul Brink auf, was andere mit allen Mitteln zu vertuschen versuchen. Ob die Erpressung der Dame im Ministerium eine unlautere Methode darstellt und damit die Grenzen der Recherche sprengt, wie wir sie etwa aus dem Pressekodex kennen, darüber lässt sich streiten (Brink gab sich als Journalist zu erkennen, die Frau hat unvorsichtig Auskunft gegeben – gleichzeitig nutzt der Journalist ihre berufliche Zwickmühle aus). Letztendlich dürfen wir aber nicht vergessen, welches Unrecht zuerst war – die Geheimhaltung des wahren Ausmaßes des Absturzes für Mensch und Umwelt und die in Kauf genommene Verstrahlung der dänischen Bodencrew nämlich.
The Idealist ist weniger “in your face”
The Idealist ist nicht der erste Film, der den investigativ-anwaltschaftlichen Journalismus thematisiert. Was man ihm hoch anrechnen muss: Er tut dies auf eine wunderbar nuancierte Art und Weise. Gerade der Rollentypus des anwaltschaftlichen Journalisten läuft Gefahr, eine allzu heroisierende Charakterisierung zu erfahren. Bestes Beispiel ist Al Pacino alias Lowell Bergmann in Michael Manns Medienthriller Insider: Hier schwingt sich der Protagonist zum Superjournalisten auf, der bei jeder Gelegenheit (zugegeben) mitreißende Plädoyers zum Besten gibt und ein Berufsethos hart an der Schwelle zum Berufspathos zur Schau stellt.
Natürlich weiß sich auch Poul Brink zu verkaufen. Er ist allerdings alles andere als ein Sprücheklopfer. Der eigentliche Wertekampf spielt sich im Inneren der Figur (hervorragend gespielt von Peter Plaugborg) ab, in vielen leisen Szenen. Die Wandlung des Poul Brink bzw. die Bewusstwerdung seiner eigenen Rolle wird nicht mal explizit ausgesprochen. The Idealist ist weniger „in your face“ – sondern sehr nüchtern in seiner Erzählung. Diese Herangehensweise macht den Streifen zu einem kühlen Vergnügen. Wer jedoch einen Journalistenfilm abseits der gängigen Pfade Hollywoods sucht, der wird an dieser kleinen Genre-Perle seine Freude haben.
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Infobox: Entschädigung und offene Fragen
Wer wissen will, wie die Geschichte weitergeht: Poul Brink zwingt den dänischen Außenminister vor laufender Kamera zu einem Geständnis. Zwischen den USA und Dänemark habe es ein geheimes Abkommen gegeben, die Dokumente zu diesem Vorfall unter Verschluss zu halten. Auf der Grundlage von Brinks Recherchen erhalten die erkrankten Arbeiter eine Entschädigung von 8.500 US-Dollar.
Außerdem wirft The Idealist die Frage auf, inwieweit 1968 alle Bomben geborgen wurden. Der Film suggeriert, dass einer der vier Sprengkörper nach wie vor auf dem Grund des Meeresbodens schlummere. Die Kontroverse hält bis heute an. In einem Bericht des dänischen Außenministeriums aus dem Jahre 2009 heißt es: Alle vier Bomben konnten gesichert werden, allerdings sei eine „wichtige Komponente“ einer Waffe – trotz aufwändiger Suche im Meer – nicht gefunden worden. Hierbei soll es sich um einen „stabförmigen Kern aus hochangereichtertem Uran“ handeln.
Bereits 1966 war es an der spanischen Südostküste zu einem Unglück mit einem Bomber der Operation Chrome Dome gekommen: Eine mit ebenfalls vier Nuklearwaffen bestückte B-52 kollidierte während eines Tankvorgangs in der Luft mit einem Tankflugzeug. Drei Atombomben stürzten auf bewohntes Gebiet des Dorfes Palomares, die vierte fiel ins Meer. Glücklicherweise detonierten die Bomben nicht, zwei platzten jedoch beim Aufprall auf und kontaminierten den Boden.
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Etwas trockener, aber doch interessanter Journalistenfilm um ein Thema, das man wahrscheinlich vorher nicht auf dem Schirm hatte: The Idealist kannst Du über den folgenden Bildlink kaufen – und journalistenfilme.de nebenbei etwas Gutes tun!
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