Die Augenklappe war ihr Erkennungszeichen. Ein Symbol ihrer Unerschrockenheit, die zu ihrer Legendenbildung beitrug.
Die Augenklappe war ihr Erkennungszeichen. Ein Symbol ihrer Unerschrockenheit, die zu ihrer Legendenbildung beitrug.
Die amerikanische Journalistin Marie Colvin berichtete von zahlreichen Kriegsschauplätzen auf der ganzen Welt. Scheinbar furchtlos. Dabei führte die Reporterin den wohl härtesten Kampf gegen sich selbst. Der Spielfilm A Private War erzählt ihre Geschichte.
Text: Patrick Torma. Bildermaterial: Ascot Elite.
Wenn Marie Colvin eines war, dann schonungslos zu sich selbst. „Ich hasse es, in Kriegsgebieten zu sein, aber ich muss es mit eigenen Augen sehen“, hält die von Rosamund Pike (Gone Girl) gespielte Reporterin in A Private War fest. Tatsächlich wollte die echte Marie Colvin ihre Leser nachempfinden lassen, was sie selbst spürte. Die Angst verbannte sie deshalb aus ihrem Wortschatz sowie ihrem Habitus. Und doch blieb sie ihr ständiger Begleiter: Traumatisiert von den Erlebnissen in den von ihr aufgesuchten Krisenregionen litt Colvin zeitlebens unter Panik-Attacken und Belastungsstörungen. Zwar genoss sie den Zuspruch der Londoner High Society, die sich nur allzu gerne mit der Präsenz der heldenhaften Berichterstatterin schmückte. Gleichwohl war sie eine Getriebene ihres Ehrgeizes, der ihr letztlich zum Verhängnis wurde.
Getrieben davon, das Leid dieser Welt sichtbar zu machen
A Private War steigt ein mit einem Schlüsselmoment in der Colvin’schen Vita. Marie Colvin (Rosamund Pike) ist eine gestandene Auslandsreporterin, als sie zu Beginn der 2000er-Jahre über den Bürgerkrieg in Sri Lanka berichtet. Sie hat zu diesem Zeitpunkt bereits eine Reihe von Konflikten begleitet, Verbrechen gegen die Menschlichkeit publik gemacht und machtversessene Männer wie den libyschen Despoten Muammar al-Gaddafi interviewt. Und doch bleibt die Journalistin rastlos.
Als nächstes will Colvin die Augen der Weltöffentlichkeit auf das Leid der Menschen in der asiatischen Inselnation lenken. Sie hat ein Interview mit einem tamilischen Rebellenanführer in Aussicht, endlich. Ihr Auftraggeber, Sunday Times-Auslandchef Sean Ryan (Tom Hollander), rät dringend davon ab, nach Sri Lanka aufzubrechen: „Sie werden dich töten“, fürchtet er. Doch Furcht als Grundlage für Entscheidungen lässt die Journalistin nicht zu. „Tausende Kinder sterben […] und niemand auf der Welt weiß davon“, legitimiert sie ihr Vorhaben.
Lesetipp: Liebesgrüße aus Tripolis – Marie Colvin über ihre Begegnungen mit Muammar al-Gaddafi.
Ein fehlendes Auge macht ihren Heldenstatus vollkommen
Es kommt, wie es kommen muss: Während ihrer Reise durch das tief zerrissene Land gerät Marie Colvin in einen militärischen Hinterhalt. Unweit von ihr detoniert eine Granate aus einer Panzerabwehrbüchse, die Reporterin wird von Splittern getroffen und schwer verletzt. Zwar hat sie Glück im Unglück: die Verwundungen sind nicht lebensgefährlich. Doch die Ärzte können ihr linkes Auge nicht retten. Marie Colvin trägt fortan Augenklappe. Sie wird zu einem markanten Merkmal, das Verwegenheit ausstrahlt. Ob in staubiger Reporterinnenkluft auf den zerfurchten Schlachtfeldern dieser Erde oder in feiner Abendgarderobe auf den roten Teppichen Londoner Luxus-Stuben – die Wirkung ist häufig dieselbe. Die Menschen um sie herum zollen ihr Respekt und Anerkennung. Die Colvin, sie ist eben nicht tot zu kriegen. Eine lebende Legende. Ein fehlendes Auge macht ihren Heldenstatus erst vollkommen.
Innerlich ist die Journalistin zerrissen. Fürs Kinderkriegen sei sie zu alt, lässt ihr charmanter Lebensgefährte, der Professor Davis Iren (Greg Wise), durchblicken. Am Newsdesk in der Redaktion hängen sie die jungen technikaffinen Kollegen ab. An der Front hingegen macht ihr niemand etwas vor. So war es jedenfalls bislang. Nun bedeutet der Verlust eines Auges den Verlust des räumlichen Sehens – und das ist eine körperliche Beeinträchtigung, die die Ausübung ihres Job gefährdet. Was soll ihr noch bleiben, wenn man sie journalistisch nicht mehr in die Bresche springen lässt?
Posttraumatische Belastungsstörung – „das ist etwas für Soldaten“
Mit viel Überwindung und noch mehr Ehrgeiz kämpft sich Marie Colvin zurück an die Front. Nicht nur das: Mit nur einem Auge sieht sie mehr als andere mit zwei. Sie kompensiert ihr Handicap mithilfe einer übersteigerten Risikobereitschaft. Während die Konkurrenz im sicheren Pressezentrum ausharrt, kultiviert sie ihren Ruf als Draufgängerin. Es ist die Fassade einer Frau, die sich einredet, sie dürfe keine Schwäche zeigen. Selbst im geschützten Umfeld einer Therapie bleibt sie hart zu sich selbst. PTS – postraumatische Belastungsstörung – „das ist etwas für Soldaten“, findet sie. Dass sie mehr Kriegsgebiete bereist hat als die allermeisten Soldaten in ihrer Laufbahn, diesen Einwand lässt die Reporterin nicht gelten.
Matthew Heinmanns A Private War ist Hommage und Mahnmal. Er bewundert Marie Colvins hingebungsvollen Einsatz im Auftrag der Wahrheit und tadelt ihren obsessiven Hang zur Selbstaufopferung. Auf der Metaebene verbeugt sich das Biopic vor dem Berufsstand des Kriegsreporters an sich, ohne die kritische Perspektive auszublenden. Ja, es braucht Menschen wie Marie Colvin, um den Opfern des Krieges eine Stimme zu geben. Doch um welchen Preis? Marie Colvin mag die Welt mit ihren Berichten wachrütteln. Aber, das macht A Private War auch deutlich, sie verändert die Welt nicht. Die Reporterin hetzt von Krisenherd zu Krisenherd. Die Kriegsberichterstattung dient nicht nur der Wahrheit – sie verfolgt auch wirtschaftliche Interessen. Im Wetteifern um dramatische Geschichten und spektakuläre Bilder inszenieren sich Feldreporter wie Marie Colvin als aktive Teilnehmer des Krieges. Der Kriegsberichterstatter wird selbst zum Anlass der Berichterstattung (siehe auch: Whiskey Tango Foxtrot).
Marie Colvin bricht aus dem Korsett des Embedded Journalism aus
Sean Ryan zeigt sich über diese Entwicklung besorgt. Er warnt Marie Colvin, den Bogen nicht zu überspannen. Dabei ist er ein Profiteur ihres Ungehorsams. Die Waghalsigkeit seiner Mitarbeiterin an der Front verspricht Ruhm und Renommee für das Ressort daheim. Wer lässt da schon gerne seine vielversprechendste Schreiberin am Desk versauern? Gewiss ist diese Lesart spekulativ. Doch A Private War legt seine Figuren widersprüchlich an. Sean Ryan ist Schutzbefohlener und Nutznießer. Fakt ist: Er vermag es nicht, Marie Colvin einzufangen. Er hätte sie wohl nie stoppen können, wird der echte Ryan Jahre später zu Protokoll geben. „Seine“ Reporterin, die sich ihren Weg nie vorschreiben ließ – egal, wie eng das Korsett des Embedded Journalism auch geschnürt war.
Im Februar 2012 bricht Marie Colvin nach Homs auf. Die Stadt ist Sinnbild für die Schonungslosigkeit des syrischen Bürgerkrieges und Hochburg der Rebellen, die gegen das Assad-Regime aufbegehren. Die Kämpfe in den Straßen werden erbittert geführt, Regierungstruppen bombardieren den Ort aus der Luft. Unter den Opfern befinden sich vor allem Zivilisten. Marie Colvin spricht von Massenmord, zieht Parallelen zum Massaker von Srebrenica während des jugoslawischen Bürgerkrieges, bei dem die Weltöffentlichkeit weggesehen hatte. Den Bitten aus ihrem privaten wie beruflichen Umfeld, sie möge die Stadt verlassen, kommt sie nicht nach. Sie könne nicht von einem Vorort aus über das neue Srebrenica berichten.
In den Straßen von Homs findet Marie Colvin den Tod
Sie harrt mit Kollegen und Rebellen in einem Gebäude im Homser Viertel Baba Amr aus. Ständig erschüttern Detonationen die Wände, es gibt weder Heizung noch genügend zu essen. Ihrem Lebensgefährten Richard Flaye schreibt sie: „Jeder Tag ist der Horror“. Doch sie will bleiben. Zumindest eine weitere Woche noch. Am 22. Februar stirbt Marie Colvin durch einen Granatenbeschuss, abgefeuert durch Regierungstruppen. Mit ihr kommt der französische Fotograf Rémi Olchik ums Leben.
Olchik ist 29 Jahre, Colvin 56. Weitere westliche Journalisten überleben den Angriff schwer verletzt, darunter Colvins Begleiter, Paul Conroy (im Film: Jamie Dornan). Der Fotoreporter, der sich mithilfe der Rebellen über die Grenze schleppt, wird später ein Buch über ihre gemeinsame Arbeit und den fatalen Einsatz in Syrien schreiben. Under the Wire* ist auch der Titel gleichnamigen Dokumentation*, die fast zeitgleich mit Matthew Heinemanns A Private War veröffentlicht wird.
Lesetipp: Jörg Burger schildert in seinem Porträt Die Frau, die nicht wegsah die letzten Tage im Leben Marie Colvins und lässt enge Vertraute wie Paul Conroy und Richard Flaye zu Wort kommen.
Allgemein wird angenommen, dass die syrische Armee das improvisierte Medienzentrum in Baba Amr gezielt ins Visier nahm. Dies wurde immer wieder in Presse und Politik geäußert. Im Januar 2019 machte ein US-Gericht den syrischen Präsidenten Assad für den Tod der Korrespondentin verantwortlich. Assad selbst zeigte wenig Mitgefühl für das Schicksal Colvins. Sie sei illegal eingereist, habe mit Terroristen zusammengearbeitet und sei damit einzig und allein verantwortlich für das, was mit ihr geschah, hielt er 2016 in einem Interview mit NBC fest.
Marie Colvin und Kollegen hinterlassen ein Vakuum
Zahlreiche Journalistinnen und Journalisten, einheimische wie auswärtige, sind seit dem Ausbruch des Krieges in Syrien 2011 (das Land belegt in der Reporter ohne Grenzen-Rangliste der Pressefreiheit – Stand 2020 – Platz 174 von 180), getötet worden. Marie Colvin gibt ihnen ein prominentes Gesicht. Gleichzeitig steht sie für einen immer seltener anzutreffenden Typus ihrer Zunft. Schon zu ihrer aktiven Zeit war sie eine Ausnahmeerscheinung, weil sie mehr Risiken einging als ihre Kollegen.
Heutzutage entsenden immer weniger Medienunternehmen Mitarbeiter in Kriegsregionen. Teils, weil sie um ihre Sicherheit fürchten. Teils, weil auch das Auslandsressort vom Spardruck betroffen ist. Stattdessen setzen Redaktionen auf Blogger und Bürgerjournalisten vor Ort, auf Fundstücke in den Sozialen Medien. These*: Der Syrien-Krieg ist auch deshalb so diffus in der Wahrnehmung, weil viele Nachrichten tausende Kilometer entfernt, am heimischen Newsdesk, ausgewertet und aufbereitet werden. Ein Vakuum, von dem diejenigen profitieren, die etwas zu verbergen haben.
*Lesetipp zu dieser These: Der Beitrag ist zwar etwas älter, bietet aber einen interessanten Einblick in das Berufsbild: Kriegsberichterstattung in der Medienkrise – „Vielleicht wäre der Syrienkrieg anders verlaufen“ – der Schweizer Journalist Kurt Pelda im Interview mit dem Deutschlandfunk.
Hörtipp: „Du hast mehr Krieg erlebt als die meisten Soldaten.“ – A Private War im Podcast bei den Kollegin*innen von SchönerDenken.
Sehtipp: Under the Wire – Podiumsdiskussion mit A Private War-Regisseur Matthew Heinemann und Colvin-Begleiter Paul Conroy.
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