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Chronist eines Genozids: Christopher Miles in The Promise (2016)

Dreiecksromanze vor dem Hintergrund eines realen Menschheitsverbrechens: The Promise hält die Erinnerung an den Genozid an den Armeniern wach.

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Dreiecksromanze vor dem Hintergrund eines realen Menschheitsverbrechens: The Promise hält die Erinnerung an den Genozid an den Armeniern wach.

Chronist dieser humanitären Katastrophe im Osmanischen Reich ist der fiktive Journalist Christopher Miles.

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Alive.

Das Osmanische Reich am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Der alte Mann am Bosporus ist gekränkt. Nach immensen Gebietsverlusten in Nordafrika und auf dem Balkan fürchtet er um seine Rolle im Konzert der Großmächte. In die Träume von einem Weltreich mischt sich der Wunsch nach einem türkischen Nationalstaat nach modernen Vorbildern. Die Bewegung der sogenannten Jungtürken, nach einem Militärputsch 1913 an die Macht gelangt, dürstet es nach einer pantürkischen, muslimisch geprägten Identität.

Die rund 1,7 Millionen, vernehmlich europäisch wie christlich sozialisierten Armenier*innen in ihren Hoheitsgebieten sind den Osmanen ein Dorn im Auge. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entladen sich die Spannungen im gewaltsamen Exzess. Trauriger Höhepunkt sind die Pogrome der Jahre 1894 bis 1896, bei denen – je nach Schätzung – 80.000 bis 300.000 Armenier*innen getötet werden.

Es beginnt mit einer Verhaftungswelle in Konstantinopel

Viele Überlebende setzen ihre Hoffnungen ins christlich-orthodoxe Russland, das sich angesichts seiner Gebietsansprüche im Kaukasus als mögliche Schutzmacht und als Gegner des zwischen den Mittelmächten Deutschland und Österreich-Ungarn sowie dem Osmanischen Reich geschlossenen Bündnisses in Stellung bringt. Als es 1914 zu Kampfhandlungen zwischen Russland und dem Osmanischen Reich kommt, nutzen einige Armenier*innen die Gunst der Stunde und erheben die Waffen gegen ihre Unterdrücker. Es ist das Todesurteil für viele ihrer Volksgemeinschaft. In den Jahren 1915 bis 1916 werden Hunderttausende einer systematischen Verfolgung und Ermordung durch die Osmanen zum Opfer fallen.

Es beginnt mit der Verhaftung der armenischen Eliten in Konstantinopel. Kaufleute, Intellektuelle und andere einflussreiche Armenier*innen werden am 24. April 1915 in einer konzertierten Aktion gefangengenommen. An dieser Stelle setzt der Spielfilm The Promise ein: Der armenische Apothekersohn Mikael Boghosian (Oscar Isaac) ist in die Reichshauptstadt ausgezogen, um Medizin zu studieren. Er kommt bei einem wohlhabenden Verwandten unter, saugt das kosmopolitische Leben auf und verliebt sich in Ana Khesarian (Charlotte Le Bon), eine weit gereiste Armenierin, die ihren Wurzeln treu geblieben ist. Die junge Frau entwickelt ihrerseits Gefühle für den feinfühligen Mikael, ist allerdings mit dem US-Amerikaner Christopher Miles (Christian Bale) liiert. Zwischen ihr und dem schroffen Reporter mit Hang zum Alkoholismus kriselt es zwar, doch sie hat ihm zu viel zu verdanken, als dass sie sich allzu leichtfertig in die Arme eines anderen Mannes begeben könnte.

Mikael Boghosian (Oscar Isaac) und Ana Khesarian (Charlotte Le Bon) lernen sich in Konstantinopel am Vorabend des Völkermordes kennen und lieben.

Eine Dreiecksbeziehung als Anker früs Publikum

Das Beziehungsgeflecht ist etabliert. Diese drei Figuren sind die identifikatorischen Anker vor der Kulisse des Genozids. Das klingt pietätloser als es ist: The Promise ist kein Pearl Harbor, das die Geschichte eines japanischen Überraschungsangriffs auf ein amerikanisches Liebesdreieck erzählt (O-Ton Roger Ebert).

Der Film ist ernsthaft bemüht, das Schicksal der Armenier*innen vor Augen zu halten. Damit The Promise in diesem Ansinnen realisiert werden konnte, spendete der armenisch-stämmige US-Milliardär Kerkor „Kirk“ Kerkorian das volle Budget in Höhe von über 100 Millionen Dollar aus seinem Vermögen. Ohne jegliche Gewinnerwartungen, in der Absicht, ein möglichst großes Publikum zu erreichen. Weshalb der fertige Film – den der 2015 verstorbene Gönner Kerkorian nicht mehr sah – wohl so formelhaft daherkommt. Hotel Ruanda-Regisseur Terry George vermengt in The Promise eine Vielzahl vertrauter Motive und Erzählmuster aus den Liebes-, Abenteuer- und Anti-Kriegsfilmen Hollywoods.

Gegner und Gleichgesinnte: Als Verehrer begehren Mikael und Christopher Miles (Christan Bale, l.) dieselbe Frau. Gleichzeitig wollen beide, dass das Unrecht an den Armenier*innen in der Welt bekannt wird.

Banale Rahmenhandlung vor traurigem Hintergrund

Wie viel Melodram sie oder er vor so einem Setting verträgt, ist Geschmackssache. Wer mich kennt und meine Arbeit auf diesem Blog regelmäßig verfolgt, weiß, dass ich gehobenere Ansprüche an fiktionalisierte Geschichte formuliere. Ja, Filme sind ein Unterhaltungsmedium. Wenn sie jedoch Geschichtsbilder reproduzieren, erwarte ich einen verantwortungsvollen Umgang mit den realen Begebenheiten. Historizität auf fiktionale Figuren zu verdichten, ist ein legitimes wie probates Mittel (wie „herrlich historisch unkorrekt“ geht, zeigt beispielsweise der südkoreanische Film A Taxi Driver), birgt aber auch Gefahren. Diese deuten sich auch in The Promise an.

Der Film verwebt seine Dreiecksbeziehung zwar sinnig in den historischen Kontext. Doch ehrlicherweise bräuchte es die zentrale Liebesgeschichte nicht. Mikaels Kriegsodyssee ist tragisch genug. Auch weil in dem Heimatdorf, das er in den Wirren zu erreichen versucht, Familie und Verlobte warten. Vor allem aber, weil die banale Rahmenhandlung um zwei Männer, die um dieselbe Frau buhlen, das Grundthema in den Hintergrund zu drängen droht. Dass der Genozid an den Armenier*innen nie zur absoluten Nebensache gerät, rettet The Promise vor dem Vorwurf, der Film „schmücke“ sich mit seinem bitteren Sujet.

Gegenentwurf zur Hauptfigur: Journalist Christopher Miles

Kommen wir damit zur Journalistenfigur. Im Dreibund der Liebenden ist Christopher Miles der Gegenentwurf zum empfindsamen Mikael Boghosian, der in seiner Heimat zum Verfolgten wird. Der „Starreporter der Associated Press“ ist ein Außenstehender, der die Verhältnisse im Osmanischen Reich zu durchschauen glaubt. Bestens vernetzt – unter anderem verkehrt Miles mit US-Botschafter Henry Morgenthau Sr. (gespielt von James Cromwell), Vater des späteren US-Finanzministers Morgenthau – besitzt der Reporter ein Gespür für die internationale Großwetterlage. „Der Krieg kommt“, ist sich Christopher Miles zu Beginn des Films sicher, während alle anderen um ihn herum noch das schöne Leben in Konstantinopel genießen. Die ständigen Besuche der deutschen Militärs sind verräterisch.

Als Ausländer fehlt ihm jedoch das Verständnis für nationale bzw. regionale Befindlichkeiten. Weswegen seine Belehrungen wie Anmaßungen anmuten, gerade in den Ohren der Einheimischen. Dass er dem Absinth nicht abgeneigt ist, trägt nicht zu seiner Glaubwürdigkeit bei. Mikael, ohnehin nicht gut auf Christopher Miles zu sprechen, erschließt sich nicht, was der Reporter aus Übersee mit seinem Einsatz bezweckt: „Schreiben Sie, um sich am Schmerz und am Leid anderer zu ergötzen?“, versucht er seinen Nebenbuhler aus der Reserve zu locken. Christopher Miles pariert, indem er den persönlichen Angriff abperlen lässt: „Ohne Reporter wie mich würde das armenische Volk einfach so verschwinden. Und keiner würde es erfahren.“

Quellenschutz: Christopher Miles trifft einen lokalen Politiker, der verdeckt eine Rettungsmission gegen den Willen seiner Regierung unterstützt. Später wird diese Bekanntschaft zum Prüfstein für den Journalisten Miles.

Intervention vs. Isolationismus: Miles und Morgenthau

Aller Lasterhaftigkeit zum Trotz: Der ethische Kompass von Christopher Miles ist intakt, sein Interesse am Schicksal der Armenier*innen aufrichtig. In Konstantinopel mögen die Kontakte hochrangig und die Weine süffig sein. Doch der Journalist hält es nie lange in diesem gemachten Nest aus. Ihn zieht es in die ländlichen Regionen, wo er Gerüchten nachspürt und die Beweise des Genozids unter Einsatz seines Lebens konserviert. Was angesichts der Herkunft des Journalisten doch bemerkenswert ist: Christopher Miles ist US-Amerikaner, die USA sind zu Beginn des Ersten Weltkriegs isolationistisch unterwegs, was sich erst mit dem Eintritt der Staaten in den Krieg ab 1917 ändert.

So weht ein Hauch US-amerikanischer Anteilnahme durch The Promise. Fakt ist: Der bereits angesprochene Botschafter Henry Morgenthau Sr. gilt als wichtiger Zeitzeuge des Genozids, der nicht nur zwei schriftliche Berichte (u.a. The Tragedy of Armenia, 1918) anfertigte, sondern auch die New York Times auf die Deportationen und Ermordungen aufmerksam machte. Die Zeitung soll allein 1915 145 Artikel zu diesem Thema veröffentlicht haben – womit die Figur des Christopher Miles eine historische Entsprechung erfährt. Allein: Die US-Regierung blieb in dieser Frage neutral. Erst 106 Jahre später, im April 2021, erkennt mit Joe Biden ein US-Präsident die Verbrechen am armenischen Volk offiziell als Völkermord an.

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Ein amerikanischer Held und integrer Berichterstatter

Morgenthaus Engagement wird in The Promise gewürdigt, der amerikanische Held in diesem Film ist und bleibt der fiktive Reporter. Um ihre Integrität zu unterstreichen, bekommt die Figur einen entsprechenden Subplot spendiert. Christopher Miles erfährt von einer christlichen Mission, die armenische Kinder aus dem Krisengebiet heraus ins Ausland rettet. Gedeckt wird die Aktion von einem lokalen Politiker. Der Reporter kennt den Namen des Volksvertreters, der sich bewusst der osmanischen Regierung widersetzt, hält ihn aber aus seinen Berichten heraus. Als die Obrigkeiten den Journalisten hierzu vernehmen, weigert der sich, das Regierungsmitglied zu verraten. Er verweist auf den Quellenschutz. „Wenn ich das unterschreibe, zerstört das alles“, betont Christopher Miles, der damit sein eigenes Schicksal beschließt. Die osmanischen Beamten erklären ihn, unter Berufung auf das Kriegsrecht, zum Spion. Es droht die Hinrichtung, die nur knapp durch eine Intervention des Botschafters verhindert wird.

Christopher Miles wird beinahe zu einem Märtyrer im Namen der Wahrheit. Anstatt sich daraufhin in Sicherheit zu begeben, kehrt er nochmal an die Front zurück. Auf Malta, wo der Journalist in die Freiheit entlassen wird, besteigt er das französische Kriegsschiff Guichen , das sich zu einer Rettungsmission an die osmanische Küste aufmacht. Das Finale von The Promise besitzt einen realen Hintergrund: am 12. und 13. September 1915 rettete die französische Marine unter der Beteiligung der Briten rund 4.000 Armenier*innen vor dem Tod. Die Überlebenden trugen die Erinnerung an das Schicksal ihrer Volksgemeinschaft in die Welt hinaus.

On the road: Christopher Miles hält es nicht lange in Konstantinopel aus. Er begibt sich aufs Land, um Gerüchten nachzugehen und Beweise für den Völkermord an den Armenier*innen für die Weltöffentlichkeit zu dokumentieren.

Netz-Kampagne gegen The Promise in der imdb

Zwar gestand Damad Ferid Pascha, ein führender Staatsmann unter dem letzten Sultan des Osmanischen Reiches, Mehmed VI. Vahideddin, im Jahr 1919 Verbrechen am armenischen Volk ein. Seither jedoch leugnen türkische Regierungen den Völkermord. Folglich wurde die Veröffentlichung von The Promise von Protesten begleitet. Der Film ist bekannt für eine Kontroverse, die in der Online-Filmdatenbank imdb.com ausgetragen wurde. Dort wurde der Film zehntausendfach mit Negativbewertungen abgestraft. Der Zeitpunkt vor dem offiziellen Release und die Tatsache, dass die allermeisten Votings von außerhalb der USA getätigt wurden, ließen eine gezielte Kampagne gegen den Film vermuten. Daraufhin organisierte sich im Netz der Widerstand: Nutzer*innen hielten mit der Höchstwertung von zehn Sternen dagegen.

Heute liegt die durchschnittliche imdb-Wertung von The Promise bei 6,4 Sternen. Mit Blick auf die filmische Qualität geht dieses Votum in Ordnung. Wohl wissend, dass die eigentliche Leistung woanders liegt. Unter finanziellen Gesichtspunkten erwies sich The Promise als Flop. Mit einem Einspielergebnis von rund 12 Millionen US-Dollar fuhr das Studio Open Road (Spotlight, Nightcrawler) ein Minus von über 100 Millionen US-Dollar ein. Doch das ist eine Fußnote, die in keiner Relation zum eigentlichen Verlust steht. The Promise steht zu seinem Versprechen, das der Film und seine Macher formuliert haben: das Leid der Armenier*innen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.


Wichtiges Thema, Hollywood-mäßig aufbereitet: Liebesfilm meets Historiendrama. Wenn Dir diese Kombi zusagt, dann könnte The Promise was für Dich sein. Wenn Du damit liebäugelst, Dir den Link zu beschaffen, dann tue dies doch über den folgenden Bildlink. Mit einem Kauf hierüber unterstützt Du journalistenfilme.de

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