HomeAllgemein

Im Netz der Fanatiker: Holy Spider (2022)

Ein Killer bringt in HOLY SPIDER reihenweise Prostituierte um – und keinen interessiert's. Nur eine mutige, iranische Journalistin ermittelt.

Hot Buzz: Breaking News (2004)
Japan und die “Trostfrauen”: Target (Doku, 2021)
Chronist eines Genozids: Christopher Miles in The Promise (2016)

Ein Killer bringt in HOLY SPIDER reihenweise Prostituierte um – und keinen interessiert’s. Nur eine mutige, iranische Journalistin ermittelt.

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Almode Film.

Eine Frau vor dem Spiegel: So beginnt Holy Spider. Mit einer Kippe im Mundwinkel macht sich die Dame zurecht. An sich eine unverdächtige Szene, wären da nicht die Hämatome auf ihrem Rücken. Ein Küsschen fürs schlafende Kind, ein kurzes „Ich bin bald wieder da“, dann schreitet die Frau in die Dunkelheit. Wir ahnen bereits: Diese Nacht wird sie verschlucken.

Was folgt, ist ein schonungsloser Strudel. Der Film nimmt uns mit auf den Straßenstrich Maschhads, Millionenmetropole und religiöses Zentrum im nordöstlichen Teil des Iran. Schnell lernen wir, was es heißt, als Frau in einem Gewerbe zu arbeiten, das in einer fundamentalistisch-patriarchalischen Gesellschaft nichts als blanke Verachtung erfährt. Ausbeuterische Freier und sexuelle Erniedrigungen, die die Schwelle zum Missbrauch überschreiten, kurze Verschnaufpausen, die für den Drogenkonsum genutzt werden, um den nächsten räudigen Fick erträglicher zu machen. Dieses Leben sucht sich niemand freiwillig aus. Und so sind auch wir gezwungen hinzusehen: die Kamera hält voll drauf.

Die iranische Reporterin Rahimi (Sahra Amir Ebrahimi) geht einer Reihe von Frauenmorden nach,  nicht zuletzt, weil sich die Behörden verdächtig bedeckt halten.
Die iranische Reporterin Rahimi (Zar Amir Ebrahimi) geht einer Reihe von Frauenmorden nach, nicht zuletzt, weil sich die Behörden verdächtig bedeckt halten.

Der Spinnenmörder ruft eine Reporterin auf den Plan

Sie lässt auch dann nicht von unserer Kurzzeit-Protagonistin ab, wenn sich sie sich am Boden windet, die Augen vor Panik weit aufgerissen, während ihr die Kehle mit dem eigenen Kopftuch zugeschnürt wird. Es sind quälende, nicht enden wollende Momente, weil klar ist: dieses Leben ist verwirkt. Ihren Körper deponiert der Täter auf einem halböffentlichen Platz. Offensichtlich versucht er gar nicht erst, seine Morde zu verschleiern. So wie Holy Spider gar nicht erst versucht, einen rätselhaften Thriller zu konstruieren. Uns gegenüber wird die Identität des Killers kurz darauf preisgeben. Es handelt sich um Saeed (beängstigend gespielt von Mehdi Bajestani), Zimmermann, Gatte und Vater von drei Kindern. Die Öffentlichkeit, die ihn noch nicht namentlich kennt, bezeichnet ihn hinter vorgehaltener Hand als „Spinnenmörder“.

Dessen Mordtaten verbreiten sich wie ein Raunen in den Straßen. Die Polizei hängt den Fall nicht an die große Glocke und auch die Presse berichtet, wenn überhaupt, sehr zurückhaltend. Sehr zum Missfallen von Saeed, der sich nach öffentlicher Anerkennung für seine „Aufräumarbeiten“ sehnt und sich daher wie eine iranische Version des Zodiac-Killers regelmäßig an die örtliche Zeitung wendet. Doch sein Kontaktmann, der Kriminalreporter Sharifi, ist redaktionell angehalten, sich von religiös aufgeladenen Themen fernzuhalten. Was ihm bis dato auch ganz passabel gelang. Bis eines Tages mit Rahimi (kraftvoll: Zar Amir Ebrahimi) eine Journalistin aus Teheran vor seinem Schreibtisch steht und beginnt, die richtigen Fragen zu stellen …

Als Journalistin und Frau gleich doppelt unerwünscht

Ich schildere den Einstieg so ausführlich, damit klar wird: Holy Spider beginnt heftig – und lockert die Schraube anschließend nur geringfügig. Der Film lässt Saeed drei, vier weitere Frauen unbehelligt umbringen, in drastischen, quälend realistisch anmutenden Bildern. Kontrastiert werden diese Aufnahmen durch Szenen aus dem Alltag des Familienvaters, die regelrechte Flashbacks hervorrufen. Etwa dann, wenn Saeed mit seinen Kindern auf demselben Boden spielt, auf dem er kurz zuvor eines seiner Opfer elendig krepieren ließ.

Auch der zweite Handlungsstrang, der sich den Recherchen der Journalistin Rahimi widmet, birgt nur wenige Entlastungsmomente. Auf dieser Seite des Films sind wir zwar vor exzessiven Gewaltdarstellungen gefeit. Allerdings erlebt die Reporterin ein breites Spektrum an psychischer Gewalt:  Beleidigungen und Mobbing, eindeutig-zweideutige Anspielungen, subtile Anmaßungen und unverhohlene Drohungen, die eine körperliche Eskalation immer im Rahmen des Möglichen erscheinen lassen, pflastern ihren Weg. Als Journalistin in einem unfreien System. Vor allem aber als Frau in einer frauenfeindlichen, ultrakonservativen Standesgesellschaft.

Eine Reporterin wird zum Freiwild erklärt

Regisseur Ali Abbasi inszeniert Maschhad, diese heilige Stadt, als No-Go-Area fürs weibliche Geschlecht. In dieser Welt muss die Journalistin zwangsläufig in Manier einer einsamen Wölfin agieren – ein Narrativ, das sich in modernen Darstellungen journalistischer Arbeit allmählich überlebt. Hier ist es alternativlos: Das Medium, für das Rahimi tätig ist, bleibt unerkannt. Scheint es sich anfangs um eine Zeitung zu handeln, läuft die Reporterin später mit einem Camcorder durch die Gegend, es ist die Rede von einer Fernsehdokumentation. Einzig ihr Kollege Sharifi steht ihr bei, aber auch nicht so richtig – aus Furcht vor Konsequenzen und vor der eigenen Courage, die Vorurteile seiner Geschlechtsgenossen abzulegen.

Würde er sie überwinden, würde er die Zusammenhänge sehen, die Rahimi überblickt: Den Obrigkeiten ist wenig daran gelegen, den Killer zu stoppen, solange die Mordserie nicht allzu viel Staub aufwirbelt. Insofern kommt die Reporterin den Männern in diesem System doppelt ungelegen. „Ich mache nur meinen Job“, rechtfertigt sie sich immer wieder. „Ihr Job ist es nicht, die Öffentlichkeit mit ihren Artikel in Angst zu versetzen“, mansplaint ein Geistlicher. Je näher sie der Wahrheit kommt, desto heftiger reagiert man(n) auf sie. Weil Gerüchte kursieren, Rahimi habe sich in Teheran an den Chefredakteur herangemacht und daher die Hauptstadt verlassen müssen, wird sie von offiziellen Stellen herabgewürdigt und auf eine Stufe mit den „sittenlosen“ Frauen von der Straße gestellt. Sie wird de facto zu Freiwild erklärt.

Holy Spider basiert auf einer wahren Mordserie

Da Rahimi diesen Status schon einmal innehat, ist es nur logisch, dass sie sich dem Killer gleich selbst stellt. Dabei bildet die Konfrontation zwischen den beiden nur einen Höhe-, nicht den Schlusspunkt. Holy Spider zoomt anschließend heraus, um die Taten Saeeds nach dessen Verhaftung in die öffentliche Wahrnehmung einzubetten. Es zeigt sich, dass sein Wunsch nach Anerkennung gar nicht mal irrig war, Teile der Bevölkerung wissen seinen „Einsatz“ zu schätzen und fordern nun seine Freilassung. Wer meint, jetzt überdreht Abbasi: Der Film lehnt sich an eine reale Mordserie zu Beginn der 2000er-Jahre an, seinerzeit tötete ein Bauingenieur aus Maschhad mindestens 16 Frauen, wofür er von fanatischen Eiferern beklatscht wurde.

Gleichwohl wirkt Holy Spider in diesem Teil der Geschichte nicht mehr so gefestigt wie zu Beginn, der Film taumelt unentschlossen zwischen Justizdrama, Medienfilm und bitterbösem Gesellschafts-Spiegel umher. Durch die völlige Abstinenz weiterer meditativer Elemente neben der Journalistin Rahimi wird klar: das hier ist pure Abrechnung. Seltsamerweise verlässt Holy Spider schließlich der Mut, die angedeutete Pointe durchzuziehen. Womöglich wäre es zu viel des Bösen gewesen. Dennoch: Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen im Iran, die nicht vorauszusehen waren, als der Film produziert wurde, ist Holy Spider ein wuchtiges Werk, das seine Wirkung nicht verfehlt.

4.0
OVERALL SCORE
journalistenfilme.de-Wertung
Have no any user vote

COMMENTS

WORDPRESS: 0
DISQUS: 0