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Von Podcasts und echten Verbrechen: Rache auf Texanisch (2022)

In Rache auf Texanisch untersucht Journalist Ben den Tod seines One-Night-Stands, um perfektes Ohrenfutter für seinen Podcast zu generieren.

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In Rache auf Texanisch untersucht Journalist Ben den Tod seines One-Night-Stands, um perfektes Ohrenfutter für seinen Podcast zu generieren.

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Universal Pictures.

Ben Manalowitz (B.J. Novak) ist eine eloquente Socke. Ein szeniger Journalist aus New York, der karrieretechnisch allerdings nicht so richtig aus dem Quark kommt. Zu seinem Glück fehlt, was jeder derzeit angesagte Auteur besitzt: ein eigenes Audioformat. Seine ersten Ideen laufen bei Eloise (Issa Rae), Redakteurin in einer großen Podcast-Schmiede, ins Leere. Zu verquast, zu schwafelig, zu wenig griffig sind Bens gedankliche Ergüsse zur Quintessenz Amerikas.

Eines Nachts erhält der Reporter einen Anruf. Es meldet sich ein ziemlich aufgelöster Ty Shaw (Boyd Holbrook), der Ben vom plötzlichen Tod seiner Schwester Abby berichtet. Ben und Abby führten eine flüchtige Sexbeziehung, zumindest hatte Ben das bisher gedacht. Denn offensichtlich hat Abby „ihren“ Ben daheim als große Liebe vorgestellt. Weshalb er nun als Ehrengast zur Beerdigung geladen ist.

Der Tod einer jungen Frau als Podcast-Hit

Ben ziert sich, schwingt sich aber dann – getrieben von der Unruhe seines kreativen Stillstands – doch in den Flieger gen Texas. Dort findet er sich in den Armen einer Trailer-Park-Familie wieder, die ihn wie einen verlorenen Sohn aufnimmt. Als Ty schließlich die Überzeugung preisgibt, Schwesterchen Abby sei ganz gewiss ermordet worden, scheint es, als habe Ben seinen Aufhänger für den ersehnten Hit-Podcast gefunden. In New York ist Redakteurin Eloise ebenfalls ganz aus dem Häuschen …

Der deutsche Titel weckt Erwartungen an einen simplen Revenge-Thriller, dabei ist Rache auf Texanisch ein kleiner, krummer Genre-Mix. Eine Prise Coen-Krimi. Eine Spur Little Miss Sunshine. Ami-Clash und Reflexion über gesellschaftliche Brüche. Parodie und versöhnliches Händereichen über Gräben hinweg. All das vermengt B.J. Novak, Autor, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion, zu einer fluffigen Erzählung, der man es zugesteht, dass sie zwangsläufig verheddern muss. So kommt es leider auch, zum Ende hin. Bis dato ist Rache auf Texanisch ein echtes Vergnügen – das auch Merkmale einer Mediensatire trägt.

Ben (B.J. Novak) auf Stimmenfang im Wilden Westen. Der Journalist stellt bald  fest, dass dort nicht bloß Landeier leben, sondern auch redegewandte Menschenflüsterer wie der Studio-Betreiber Quentin (Ashton Kutcher).
Ben (B.J. Novak) auf Stimmenfang im Wilden Westen. Der Journalist stellt bald fest, dass dort nicht bloß Landeier leben, sondern auch redegewandte Menschenflüsterer wie der Studio-Betreiber Quentin (Ashton Kutcher).

True Crime und das Missing White Woman Syndrome

Am offensichtlichsten sind diese natürlich in Bezug auf das Podcast-Game, das in den USA in einer ganz eigenen Liga gespielt wird. Bens Auftraggeberin Eloise arbeitet für die Podcast-Fabrik eines Medienkonzerns, das um Anteile an einem Milliardenmarkt buhlt. Die Erwartungen an Bens Podcast steigen überproportional mit dem Audiomaterial, das der Reporter mit seinem Aufnahmegerät in der Einöde einsammelt. Im Hintergrund nimmt die Produktion immer größere Ausmaße an, wächst von der moralischen Ein-Frau-Unterstützung zu einem kollektiven Redaktions-Think-Tank heran und ruft schließlich die millionenschweren Influencer als Multiplikatoren auf den Plan.

Die Zutaten von Bens Projekt sind aber auch zu gut. Ein wahrhaftiges Stück True Crime (zu den Fallstricken des Genres hat das blutige Roadmovie Kalifornia alles gesagt, lange bevor die ersten Podcasts aus dem Boden schossen und einen Boom auslösten). Eine junge, attraktive Frau als Mordopfer, das besondere Anteilnahme verspricht (Stichwort: Missing White Woman Syndrome). Dazu skurrile Figuren aus dem Herzen Amerikas. Projektionsflächen, die den Voyeurismus der Zuhörenden befriedigen und es ihnen ermöglichen, das eigene Leben aufzuwerten.

Rache auf Texanisch ist alles andere als stumpfsinnig

Der Journalist wittert eine Story und übersieht dabei, dass er es mit echten Menschen zu tun hat – das ist eine Neigung (und eine beliebte Trope in Filmen), die dem True Crime-Genre nicht exklusiv, jedoch in einem gesteigerten Maße innewohnt. Hinzu kommt die Bias, sozial abgehängte Menschen zu unterschätzen. Ben nimmt bewusst in Kauf, die Shaws bloßzustellen, indem er sie wild und unzensiert über vermeintliche Verschwörungstheorien und Banalitäten schwadronieren lässt. Doch bald schon merkt er: die geäußerten Ansichten haben irgendwie ihre Berechtigung, aus dem Kontext ihres soziokulturellen Umfelds heraus betrachtet.

Rache auf Texanisch appelliert daran, Vorbehalte abzubauen und aufeinander zuzugehen – als Gegenentwurf zur vielzitierten Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, die als nimmermüdes Erklärungsmuster herhält und inzwischen achselzuckend hingenommen wird. Zuhören, hinschauen, nachfassen: Auch wenn Ben mit zunehmender Spieldauer journalistische Pfade verlässt und stattdessen in die Rolle des Ermittlers schlüpft (ein weiteres, gängiges Rollenmuster journalistischer Filmfiguren, gleichzeitig ein Wink an die Hobby-Kriminologen aus dem True Crime-Fach) –, so beschwört der Film die Grundtugenden einer jeden Recherche. Garniert mit einigen geerdeten Gedanken über den Zwang, die Welt nach Storytelling-101 zu verorten, ist Rache auf Texanisch gar nicht so doof wie der Titel vermuten lässt.

4.0
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