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False Crime: Quick – Die Erschaffung eines Serienkillers (2020)

Beruhrend auf einer wahren, falschen Geschichte: In Quick - Die Erschaffung eines Serienkillers entlarvt ein Journalist einen Justizschwindel.

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Beruhrend auf einer wahren, falschen Geschichte: In Quick – Die Erschaffung eines Serienkillers entlarvt ein Journalist einen Justizschwindel.

Lange galt Thomas Quick als „der gefährlichste und gestörteste Mann Schwedens“. Er selbst behauptete, über 30 Menschen ermordet zu haben, acht Morde wollte ihm die Staatsanwaltschaft nachweisen können. Das Problem: Quick, der eigentlich Sture Ragnar Bergwall heißt, hat diese Taten der Aufmerksamkeit wegen nur vorgeschoben. Quick – Die Erschaffung eines Serienkillers erzählt, wie die Investigativjournalist*innen Hannes Råstam und Jenny Küttim in die Abgründe eines Justizskandals hinabsteigen.

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Koch Media.

Es ist was Faul im Staate Schweden. Das ahnt zumindest der investigative TV-Reporter Hannes Råstam (Jonas Karlsson), der eine unerklärliche Faszination für den Mehrfach-Mörder Thomas Quick alias Sture Bergwall (David Dencik, Verblendung, das Fincher-Remake) hegt. Die Verurteilung dieses Mannes liegt schon einige Jährchen zurück, doch Råstam lassen die Restzweifel nicht los. In dieser Situation bittet er Bergwall, der in der psychiatrischen Anstalt von Säter sicherungsverwahrt wird, schriftlich um ein Treffen. Es werde „für beide Seiten von Nutzen“ sein.

Ist dieser Mann ein brutaler Killer? Sture Bergwall (David Dencik) bricht nach Jahren in der Sicherheitsverwahrung sein Schweigen.

Der gefährlichste Mann Schwedens ist ein Hochstapler

Jahrelang ließ Bergwall sämtliche Presseanfragen ins Leere laufen. Doch überraschenderweise stimmt er nun einem Besuch zu. Bereits die erste Begegnung nährt Råstams Skepsis, denn Bergwall passt so gar nicht in das Bild eines psychotischen Serienkillers. Dieser scheue und unsicher wirkende Mann soll – eigener Aussage nach – 33 Menschen brutal aus dem Leben gerissen haben? Gemeinsam mit der Jungjournalistin Jenny Küttim (Alba August) beginnt er, Ungereimtheiten in diesem Fall nachzugehen. Es folgen außerdem weitere Treffen mit dem vermeintlichen Mörder, der sich nach und nach öffnet.

Råstam erfährt nicht nur, dass der sozial verkümmerte Bergwall die Verantwortung für die Morde auf sich nahm, um Aufmerksamkeit und Medikamente zu erhaschen, sondern dass die Behörden Bergwall nur allzu bereitwillig als möglichen Täter akzeptierten. Auf dramaturgischer Ebene funktioniert Quick – Die Erschaffung eines Serienkillers wie ein Jenga-Turm, von dem alle wissen, dass er unweigerlich einstürzen wird. Rückblende für Rückblende stapelt Regisseur Jan Mikael Håfström ein Konstrukt aus Lügen, Wunschdenken und Realitätsverweigerung auf, das gleichzeitig mit jeder neuen Enthüllung immer bedrohlicher, immer heftiger wankt.

TV-Reporter Hannes Råstam (Jonas Karlsson) ist von Anfang an vom Fall Thomas Quick besessen. Nach und nach deckt er das ganze Ausmaß auf.

Ein Jenga-Turm aus Lügen und Realitätsverweigerung

So sehen wir psychologischen Gutachter*innen beim Frohlocken zu, weil sie in Bergwall einen menschlichen Beleg für ihre vorgefertigten Theorien vorzufinden glauben. Wir bekommen mit, wie Ermittler in Ermangelung echter Spuren dankbar nach einem Strohhalm greifen und darüber hinwegsehen, dass der Hochstapler bei Vernehmungen „Täterwissen“ preisgibt, das mit den vorliegenden Fakten nicht in Einklang zu bringen ist. Dass sich vermeintliche Knochenfragmente, die die Polizei an einem vorgeblichen Schauplatz eines seiner Verbrechen gefunden hat, im Nachgang als verkohlte Plastikreste erweisen.

Die wahre Geschichte ist das Faustpfad von Quick – Die Erschaffung eines Serienkillers. Jede neue Enthüllung scheint unglaublicher als die vorherige. Dadurch gewinnt der Film an Sogwirkung, die wiederum erzählerische Schwächen kaschiert. Die Gegenwartsnarrative um Journalist Råstam ist nicht mehr als ein Kitt, der die Vignetten notdürftig zusammenhält. Beispielsweise wird nicht klar, warum der Journalist eigentlich so getrieben ist, den Fall nochmal aufzurollen. In einer kurzen Szene zu Beginn, in einem Einstellungsgespräch mit seiner späteren Co-Rechercheurin Küttim, leider nicht mehr als eine Stichwortgeberin, fällt das Schlagwort „Wahrheit“, seine Obsession für Bergwall allerdings bleibt unmotiviert. Anders als in David Finchers Zodiac, wo die von Jake Gyllenhaal und Robert Downey Jr. gespielten Journalisten erst unter dem Druck der Recherche und der Rätselhaftigkeit des Falls manische Züge entwickeln.

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Filmfigur Hannes Råstam erfüllt leider nur Klischees

Die Figur des Hannes Råstam macht hingegen keine Entwicklung durch – dass es sich bei ihm um einen exzessiven Charakter handelt, der dazu neigt, den Beruf über sein Privat- und Familienleben zu stellen, schimmert schon in den ersten Minuten durch. Der Film bemüht das Klischee des journalistischen Workaholic, der über seine kreisenden Gedanken vergisst, sein Töchterchen von der Schule abzuholen und schonungslos zu sich selbst ist – visualisiert durch demonstratives Dauergequarze. Zwar spitzt sich der Konflikt auf der persönlichen Ebene zu – der Journalist wird mit einer Krebserkrankung konfrontiert, wie der echte Råstam wird er die Folgen seiner Recherche nicht mehr erleben –, echtes Drama will sich allerdings nicht einstellen. Dafür läuft alles andere zu glatt.

Denn das Schauspiel steuert wie auf Schienen auf seine Auflösung zu. An keiner Stelle türmen sich schwer überwindbare Widerstände auf. Sture Bergwall sprudelt, nach kurzem, anfänglichem Zögern, wie ein Wasserfall. Zweifel werden geäußert, werden aber gleich wieder beiseite geschoben, auch die Vorbehalte des Chefredakteurs lösen in Wohlgefallen auf.

Kann ungestört investigieren: Die von Jonas Karlsson gespielte Figur des Hannes Råstam agiert im luftleeren Raum. Was denkt die Anstaltsleitung? Die Öffentlichkeit? Wir erfahren es nicht.

Recherchen, losgelöst von äußeren Umständen

Überhaupt scheint es, als agiere Råstam in einem luftleeren Raum, losgelöst von äußeren Umständen. Niemand in der psychiatrischen Anstalt von Säter stellt Fragen zu den Gesprächsinhalten der immer häufiger stattfindenden Interviews. Die handelnden Personen von damals geben sich, wenn sie denn von Råstam konfrontiert werden, seltsam passiv. Es ist keine (Gegen-)Öffentlichkeit wahrnehmbar. Weder die Brisanz der Recherchen, noch die nationale Faszination für den Fall werden greifbar. Stoisch bleibt der Film an seinen eindimensionalen Hauptfiguren kleben.

Quick – Die Erschaffung eines Serienkillers gibt vor, ein Recherche-Thriller zu sein. Dabei ist der Film nicht viel mehr ein fiktionalisiertes Doku-Drama, das ein Best-of der gröbsten Ermittlungsfehler im Fall Quick abspult. Das reicht gerade, um an den Bildschirm zu bannen. Wer noch nie von der Geschichte gehört hat, kann durchaus einen Blick riskieren. Da sich der Film auf Vernehmungsprotokolle, Filmaufnahmen und andere Quellen stützt, kann man ihn inhaltlich für voll nehmen. Einen ausgefeilten, tiefgründigen Journalisten-Krimi sollte man nicht erwarten.


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