Ein Titel mit doppeldeutiger Sprengkraft: Shock and Awe - Krieg der Lügen erzählt die Geschichte von vier mutigen Journalisten.
Ein Titel mit doppeldeutiger Sprengkraft: Shock and Awe – Krieg der Lügen erzählt die Geschichte von vier mutigen Journalisten.
Die Polit-Reporter berichten nach den Terroranschlägen vom 11. September gegen den Strom. Ihre regierungskritischen Recherchen im Vorfeld des Irak-Krieges führen sie an den Rand des Scheiterns. Am Ende sollen sie Recht behalten. Ein Grund zur überschwänglichen Freude ist das nicht – auch das ist doppeldeutig zu verstehen.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: EuroVideo Medien.
„Es gibt keinen wichtigeren Kampf für die amerikanische Demokratie als die Gewährleistung vielfältiger, unabhängiger und freier Medien.“ Bill Moyers, von dem dieses Zitat stammt, muss es wissen. Der vielfach für seinen investigativen Journalismus ausgezeichnete Kommentator diente in jungen Jahren im Pressestab Lyndon B. Johnsons. Als solcher hatte er Einblick in die krampfhafte Außenpolitik des US-Präsidenten, der sein persönliches politische Erbe eng mit der Lösung des Vietnam-Konfliktes verband.
„JBL“ hatte sich ein glücklicheres Händchen ausgemalt. In seiner Amtszeit uferte die Intervention zu einem heißen Krieg aus. Brandbeschleuniger war der Tonkin-Zwischenfall, von dem wir heute wissen, dass er ein fingierter Vorwand war. Den nordvietnamesischen Torpedo-Beschuss auf den US-Zerstörer USS Maddox gab es nachweislich nicht. Angesichts solcher Täuschungsmethoden kann man schon mal – wie Billy Moyers – das Vertrauen in den eigenen Arbeitgeber verlieren. Oder auch das Vertrauen in die Medien. Was in der Retrospektive rund um die Proteste gegen den Vietnamkrieg gerne unterschlagen wird: In den ersten Jahren war die US-Presse von einem grundsätzlichen US-Engagement in Südostasien überzeugt. Viele Journalisten verließen sich auf die Verlautbarungen, die ihnen die Regierung diktierte. Darunter eben die berüchtigte Tonkin-Lüge.
Erst Vietnam, später der Irak: Geschichte wiederholt sich
Weil sich Geschichte manchmal wiederholt, kam Moyers nicht umhin, mit den eingangs zitierten Worten auf die Parallelität der Ereignisse am Vorabend der Irak-Invasion 2003 hinzuweisen. Die ohnehin dünne Legitimationsgrundlage für den Einmarsch war – auch das wissen wir längst – notdürftig mit bewussten Falschdarstellungen untermauert worden. Saddam Husseins Kumpelei mit Osama Bin Laden, die irakischen Massenvernichtungswaffen – alles Augenwischerei. Und doch reichte es, um die US-Bevölkerung aus der Schockstarre des 11. September heraus für ein militärisches Gastspiel zu begeistern, welches zwar das Ende des irakischen Diktators bedeutete, gleichzeitig jedoch eine gesamte Region destabilisierte.
Wieder waren die US-Medien Kolporteure der Kriegsnotwendigkeit und -begeisterung. Regisseur Rob Reiner konfrontiert uns früh in seinem Film mit Fernsehbildern von der Bombardierung der irakischen Hauptstadt Bagdads. Durch die Nachtsichtbrille betrachtet, sollen sie uns glauben machen, wir hätten es mit einem hochtechnologisch geführten Krieg zu tun, der sich massiv, aber präzise und ausschließlich gegen militärische Ziele richtet. Das US-Militär setzt auf die totale Einschüchterung des Gegners, der nach dieser Intensiv-Behandlung zu keinen nennenswerten Verteidigungsmaßnahmen mehr fähig sein soll. Shock and Awe (Schrecken und Furcht) nennen Militärs diese Taktik. Shock and Awe heißt auch Rob Reiners Film, der mit diesem Titel Anknüpfungspunkte auf mehreren Ebenen findet.
Shock and Awe im historischen sowie im übertragenen Sinne
Das wäre zum einen der unmittelbare historische Kontext: Shock and Awe ist keine Erfindung der Moderne (die Wikipedia gibt hierzu eine knappe, aber brauchbare Einordnung). Doch erst im Zuge des Irak-Krieges avanciert die Taktik zu einem geflügelten Wort. „Die Bagdader werden schon verstehen, was Shock and Awe heißt“, plärrt der Kommentator euphorisiert wie unreflektiert auf dem Off. Gleichzeitig konterkariert dieser Begriff die Mär vom „sauberen Präzisionskrieg“. Zur militärischen Grundidee gehört eine flächendeckende, massenpsychologische Wirkung, die möglichst auch auf die einfache Bevölkerung übergreift. Von konkreten zivilen Opfern durch den Beschuss ganz zu schweigen. Kollateralschäden, die nicht zu vermeiden sind, werden bewusst in Kauf genommen.
Zum anderen: Im übertragenen Sinne waren die US-amerikanischen Bürger ihrem eigenen Shock and Awe-Trommelfeuer ausgeliefert. Die Terroranschläge auf das World Trade Center 2001 hatten die Nation gelähmt, die Bush-Administration schürte mit einer gebetsmühlenartigen Kaskade von Gefährdungsszenarien Ängste, die die breite Öffentlichkeit derart einlullte, dass sie den Sturm auf den Irak nach „555 langen Tagen und Nächten“ und einer „Zwischenlandung“ in Afghanistan (siehe auch Von Löwen und Lämmern) kaum erwarten konnte. Nach anfänglichen Erfolgen schlug der Hurra-Patriotismus in Ernüchterung um. 2011 verließen die Amerikaner resigniert und zermürbt das Land. Die Welt war kein Stück sicherer geworden. Von einer Ordnung ist der Irak heute noch meilenweit entfernt. Die USA hinterließen ein gefährliches Vakuum, in dem die Terrororganisation Islamischer Staat, aber auch revisionistische Begehrlichkeiten umliegender Nationen, gedeihen konnten.
Shock and Awe blickt auf das Versagen der US-Leitmedien
Wie konnte das passieren? Das ist die zentrale Frage, die Shock and Awe aufwirft. Die Antwort, die der Film findet, kommt nach diesem ausholenden Intro wenig überraschend: Teile der Verantwortung sind in den Reihen der Journalisten zu suchen, die den Erklärungen der Bush-Regierung nicht ausreichend auf den Zahn fühlten. Ob der Krieg unter anderen Voraussetzungen – begleitet von einer kritischen Auseinandersetzung – abgeblasen worden wäre, ist natürlich hypothetisch. Shock and Awe – und wieder ist der Titel Programm – legt es darauf an, das allgemeine Versagen der Presse offenzulegen, indem er auf die Existenz zahlreicher Indizien verweist, mit deren Hilfe es zumindest möglich gewesen wäre, die Falschaussagen der US-Regierung zu enthüllen.
Wie, das zeigt der Film anhand der Geschichte der Redaktion des Nachrichtendienstes Knight Ridder. Als Zulieferer für über 30 Zeitungen und Magazine verfügte Knight Ridder prinzipiell über Reichweite. Ohne eigene Publikation allerdings fiel es Journalisten schwer, ihre regierungskritischen Artikel an die Leser zu bringen. Während traditionsreiche Blätter wie die Washington Post oder die New York Times sowie die großen Sendekonzerne den Kurs der Bush-Administration unterstützten, meldeten die Reporter vom Knight Ridder früh Zweifel an der Argumentationskette an. Als Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen auch nach dessen Sturz unauffindbar blieben, bröckelte die Beweisführung zusehends. Als die anderen Medien kleinlaut ihre öffentlichen Entschuldigungen abdruckten, wurde die Redaktion des Knight Ridder zum „reporting team that got iraq right“.
Wir haben doch Recht, oder? Wenn mutige Journalisten (ver-)zweifeln
Dabei verrichteten die Knight Ridder-Reporter „nur“ ihren Job. Journalismus ist zweifelsohne ein Geschäft, das von der Exklusivität lebt. In diesem Fall allerdings wäre es der Redaktion wohl lieber gewesen, es wären andere Medien auf diesen Zug aufgesprungen. Diese Erkenntnis macht Shock and Awe, der auch ein Plädoyer für einen sorgfältigen, unnachgiebigen Journalismus sein will, so bitter. Es ist ein Film über Widerstände. Die Reporter machen alles richtig, und doch sind sie isoliert.
Irgendwann können Galgenhumor und Trotz („Ich hätte niemals Reporter werden sollen. Scheiß Woodward, scheiß Bernstein.“) die Zweifel nicht mehr übertünchen. „Wir haben doch recht, oder? Wie kann es dann sein, dass wir die Einzigen sind, die darüber schreiben?“ Der Tiefpunkt ist erreicht, als selbst engste Familienangehörige beginnen, die Journalisten als unpatriotische Netzbeschmutzer zu betrachten. Die Saat aus dem Weißen Haus geht auf. In diesen Momenten ist Shock and Awe am stärksten.
Landay, Strobel, Walcott – die echten Helden der Geschichte
Im Mittelpunkt stehen die Journalisten Jonathan Landay und Warren Strobel. Landay (Woody Harrelson, Natural Born Killers) ist der vorlaute Part. Der Mann fürs Grobe vor Ort, dem bereits Gewehrkugeln um die Ohren geflogen sind. Einer, der unangemeldete Hausbesuche macht, um seine Gesprächspartner auf der Veranda abzupassen. Strobel (James Mardsen, Superman Returns) hingegen ist grün(er) hinter den Ohren. Ein scharf kombinierender Zeitgenosse, der noch die Bestätigung seiner Kollegen benötigt, um sich auf der richtigen Seite zu wähnen. Beide genießen die Rückdeckung des besonnenen, fast schon väterlich agierenden Chefredakteurs John Walcott (gespielt von Rob Reiner selbst). Wie ein stoischer Käpt‘n in tosender See gibt er im Moment der dunkelsten Stunde – soeben sind in Manhattan die Zwillingstürme eingestürzt – die Losung vor: „Ihr recherchiert alles dreimal. Wir müssen sicherstellen, dass wir die Wahrheit berichten!“
Groß geworden in der goldenen Ära des investigativen Journalismus – Stichwort Watergate – weiß Walcott, dass die Wahrheit nur selten in offiziellen Stellungnahmen schlummert. Weil ihnen die weitreichenden Kontakte fehlen, treffen sich Strobel und Landay vor allem mit Bediensteten und Experten aus der zweiten Reihe, mit Gesprächspartnern, „um die sich Journalisten gewöhnlich nicht reißen“. Dass sie an großen Namen nicht herankommen, erweist sich als Segen und Fluch zugleich. Einerseits sind sie in der Lage, ein abweichendes – das richtige – Bild zu zeichnen, während die anderen Medien den Verlautbarungen der Drahtzieher erliegen. Andererseits: Ohne große Namen fehlen Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit.
Lost in Interviews: Die seltsame Wirkung anonymer Quellen
Shock and Awe setzt um, was John Walcott fordert: Wir sehen den Journalisten zu, wie sie Quelle um Quelle auftun und befragen. Ein inszenatorisches Trommelfeuer, das Stück für Stück die haarsträubenden Fehleinschätzungen und bewussten Täuschungen der US-Regierung freilegt. Verdächtig schnell wird der „Schurkenstaat“ Irak als Gönner des islamistischen Terrorismus identifiziert. „Die Experten versuchen schon seit 1997 Saddam loszuwerden“, mahnt ein Tippgeber. „Wer den Irak und Bin Laden in einen Topf wirft, hat keine Ahnung von der islamischen Welt“, ein anderer. Wir müssen diese Einschätzungen hinnehmen, die 90 Minuten lassen kaum Zeit für Erläuterungen, kommen kaum aus dem Kopfschütteln nicht heraus.
Dass Shock and Awe dennoch nicht seine volle Sprengkraft entfalten kann, liegt daran – und das ist ein Urteil, das ich noch nicht allzu oft gefällt habe –, dass er die journalistischen Prozesse viel zu kleinteilig abbildet. Dass es in investigativen Recherchen nie genug Quellen geben kann, ist eine lobenswerte und wichtige Beobachtung. Häufig suggerieren Filme, dass es nur den einen Whistleblower braucht und schon kommt alles ans Licht. Tatsächlich fängt dann aber die eigentliche Arbeit für die Journalisten an. Aus dramaturgischer Sicht ist die Aneinanderreihung von Interviewsituationen problematisch. Die Quellen, sie sind allesamt anonymisiert („Ein Geheimdienstmitarbeiter“, „Ein Analyst“), sie eröffnen keine Agenda, sie sind für uns nicht greifbar. Auf der emotionalen Ebene sind sie uns egal. So erliegen wir dem gleichen Phänomen, das wir einige Absätze weiter oben ausgemacht haben: Uns kommen die Quellen nicht echt, nicht glaubwürdig vor.
Beschäftigungslose Figuren: Was tun wir hier eigentlich?
Auch die Hauptfiguren bleiben eindimensional. Zwar ledert der ruhige Redaktionsleiter Walcott auf der Führungsetage auch mal ab, wenn die Artikel aus seinem Hause im Stehsatz vergammeln („Verkauft die Wahrheit keine Zeitungen mehr?“), er verbleibt allerdings in der Rolle des unbeirrbaren Steuermannes. Landay und Strobel dürfen zwischendurch wanken, das aber folgenlos, eine Entwicklung machen sie nicht durch. Mit Milla Jovovich und Jessica Biel bekommen die beiden zwei prominente Darstellerinnen als Partnerinnen an die Seite gestellt, die reichlich wenig zu tun haben.
Und dann ist da noch Tommy Lee Jones, der als journalistischer Veteran in die Recherchen einsteigt. Er spielt den emeritierten Korrespondenten Joseph Galloway. Als solcher hatte Galloway in Vietnam die Schlacht von la-Drang miterlebt (und einen verwundeten Soldaten gerettet, wofür er mit dem Bronze Star ausgezeichnet wurde). John Walcott holt ihn als Türöffner ins Boot, doch allzu viele Türen muss Galloway nach einem kurzen Anwerbungs-Hin-Her gar nicht mehr öffnen.
Zu kurz. Zu viel Stakkato. Zu salzig: Warum Shock and Awe nicht zündet
Immerhin darf Jones den trockensten Spruch des Films raushauen. In seiner Eröffnungsszene sitzt Galloway auf dem Podium einer Pressekonferenz anlässlich des Kinostarts von Wir waren Helden. Der Film mit Mel Gibson in der Hauptrolle beruht auf Ereignissen, die Galloway in seinem Buch We were Soldiers once … and young schildert. Eine Reporterin will von ihm wissen, worin sich sein Filmerlebnis von dem Kriegserlebnis unterscheidet. „Das Popcorn in la-Drang war salziger“, knurrt Galloway.
Vielleicht hätte Shock and Awe die obligatorische halbe Stunde mehr ganz gut vertragen können, um seine Figuren besser aufzubauen, dramaturgische Schwächen auszumerzen und die Kanonade an Interviewsequenzen zu entzerren. Dass ein Film mit einer solch komplexen Thematik nur 90 Minuten Raum erhält, ist eher ungewöhnlich. In dieser Kompaktheit schmiegt er sich an bekannte Muster und Narrative des Genres an, ist dabei durch und durch erwartbar. Als Journalistenfilm spielt Shock and Awe nach Buch. Er macht nicht viel falsch. Und wird dadurch zu seinem eigenen Déjà-vu: Wie einst die Recherchen des Knight Ridder liegt Shock and Awe in seiner Einschätzung nicht daneben. Doch Jubelstürme erntet auch er nicht.
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Shock and Awe ehrt eine Redaktion und prangert die gleichströmige US-Berichterstattung im Vorfeld des Irak-Feldzuges nach dem 11. September an. Wichtiges Thema, etwas spröde inszeniert – der Funke will nicht ganz überspringen. Wenn Du Dich dennoch für den Film interessierst – über den Affiliate-Bildlink gelangst Du zu einem großen Online-Händler.
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