Bitsy Bloom erhält ein delikates Angebot: Sie darf den zum Tode verurteilten Menschenrechtsaktivisten David Gale interviewen.
Bitsy Bloom erhält ein delikates Angebot: Sie darf den zum Tode verurteilten Menschenrechtsaktivisten David Gale interviewen.
In drei Tagen schon soll der auf dem elektrischen Stuhl Platz nehmen. Zu Unrecht? Die Journalistin nimmt in Das Leben des David Gale die Ermittlungen auf. Sie wird, auch weil sie journalistische Prinzipien fehlinterpretiert, zur Marionette eines politisch motivierten Manipulators.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Universal.
Achtung, in diesem Beitrag wird der Film hemmungslos gespoilert!
Das Leben des David Gale beginnt mit einer Totalen. Ein Auto kommt auf einer Straße zum Erliegen, aus dem Motorraum dringt weißer Qualm. Wahrscheinlich was mit dem Kühlsystem. Doch die Fahrerin hält sich nicht damit auf, einen Blick unter die Haube zu werfen. Sie nimmt die Beine in die Hand und spurtet los, als ginge es um ihr Leben. Tatsächlich rennt die Journalistin Bitsy Bloom (Kate Winslet), wie wir noch erfahren, nicht um ihr eigenes, sondern um das des titelgebenden David Gale (Kevin Spacey). In wenigen Minuten richtet der Bundesstaat Texas den ehemaligen College-Professor hin, als Sühne für die Vergewaltigung und die anschließende Ermordung von Constance Harraway (Laura Linney). Das Kuriose an dem Fall: Harraway und Gale waren engagierte Mitglieder von Deathwatch, einer Organisation, die sich in den Vereinigten Staaten gegen die Todesstrafe einsetzt.
Diese erste Szene nimmt das Ende des Films vorweg. Der Zuschauer ahnt, dass Bitsy Bloom etwas herausgefunden hat, das Gale entlastet. Die Fragen für die kommenden zwei Stunden sind: Was genau hat Bitsy Bloom herausgefunden? Wie konnte sie etwas herausfinden, was die restliche Welt nicht sehen wollte? Und wie, in aller Herrgottsnamen, konnte sich die abgebrühte Journalistin in jenes Wrack verwandeln, das da nun völlig aufgelöst durch die texanische Pampa strauchelt? Zugegeben, letztere ist eine Bonusfrage, die ich mir ausgedacht habe, da sie sich aus Sicht dieses Blogs aufdrängt. Aber deswegen sind wir doch alle hier, oder etwa nicht?
Bitsy Bloom mutiert zur Marionette eines Todeskandidaten
In der Regel machen Journalisten im Film eine Entwicklung zum Guten hin durch. Sie treten aus dem Dunkeln der Ahnungslosigkeit heraus und eskortieren die Wahrheit ins Licht, werden sich im Laufe eines unverhofften Scoops ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst oder durchleben gleich den kompletten Sinneswandel: weg vom quotengeilen Aasgeier hin zum gewissenhaften Super-Journalisten. Bitsy Bloom geht den umgekehrten Weg: Sie wirft ihre Professionalität über Bord und mutiert zur Marionette eines Aktivisten, der aus der Todeszelle heraus die Strippen zieht. Dabei meint es Das Leben des David Gale eigentlich gut. Der Film spricht sich gegen die Todesstrafe aus, denn wo Menschen arbeiten, passieren Fehler – und ein zu Unrecht vollstrecktes Urteil lässt sich nur schlecht korrigieren.
Das Problem an Das Leben von David Gale ist, dass er die Fehleranfälligkeit des Justizsystems mithilfe eines Betrugs beweisen will – und die Journalistin zur Komplizin wird, weil sie ein journalistisches Prinzip fehlinterpretiert. Um das zu erklären, gehen wir nochmal zurück zum Anfang, zur Exposition im Anschluss von Bitsy Blooms vorgezogenem Schlusssprint. Die Journalistin wird in der Redaktion von einer Anfrage überrascht: David Gale will sich erklären, in drei aufeinanderfolgenden Interview-Sitzungen an den drei letzten Tagen seines Lebens – über seinen Anwalt fordert er ausdrücklich Bloom an. Der Chefredakteur äußert Bedenken. 500.000 Dollar für ein Interview mit einem Todeskandidaten seien nicht nur „illegal“, sondern über jedes vernünftiges Maß hinaus „obszön“. Außerdem ist ihm nicht wohl dabei, das Interview mit einem verurteilten Vergewaltiger mit einer Frau zu besetzen.
David Gale baut auf Bitsy Blooms Vertraulichkeit als Journalistin
Bitsy Bloom spielt pikiert, sie weiß, dass sie eine Sexismus-Debatte nur anzudeuten braucht, damit ihr Boss sie gewähren lässt. Darüber hinaus müsste er doch wissen, dass sie harte Themen händeln kann. Zuletzt hat die Reporterin mit einem Stück über Kinderpornographie auf sich aufmerksam gemacht, ihr Artikel trug offensichtlich dazu bei, dass die Behörden einen Kinderschänder-Ring sprengen konnte. Vor Gericht sollte Bloom schließlich ihre Quellen preisgeben – für den Schutz ihrer Informanten nahm die Journalistin sieben Tage im Gefängnis in Kaufwegen „Missachtung der Behörden“.* Diese Anekdote ist deshalb so wichtig, weil sich David Gale genau diese Verschwiegenheit von seiner Gesprächspartnerin erhofft, damit sein Plan aufgeht.
* Filmtipp zum Thema Informantenschutz: In Nichts als die Wahrheit wird eine Journalistin (Kate Beckinsale) in Beugehaft genommen, weil sie ihre Quelle nicht verraten will. Der Film orientiert sich an wahren Begebenheiten.
Das Publikum hingegen wird noch ein wenig in dem Glauben gelassen, Gale habe die Bloom aufgrund ihrer journalistischen Qualitäten ausgewählt, weil er ihr zutraut, die richtigen Fragen zu stellen – im Gegensatz zu den Anwälten und Möchtegern-Beobachtern, die nur das Offensichtliche in diesem Fall sehen wollten. Einen Mordverdächtigen nämlich, der schon mal wegen einer Vergewaltigung mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Schnell wird deutlich, dass es das nicht gewesen sein kann, doch Gale muss die Reporterin erst mit der Nase auf die zentrale Ungereimtheit stoßen: „Miss Bloom, ich bin mal der führende Gegner der Todesstrafe in diesem Staat gewesen und jetzt bin ich im Todestrakt. Kommt ihnen das nicht ein wenig merkwürdig vor?“
Der Verlust der journalistischen Objektivität in drei Akten
Generell ist Bitsy Bloom gedanklich nicht die flexibelste. Ihr Begleiter, der Praktikant Zack Stemmons (Gabriel Mann), erfährt schon bald, warum Bloom intern auch als „Mike Wallace* mit PMS“ verschrien ist. Bei jeder Gelegenheit macht sie ihn auf die hierarchischen Strukturen dieser Reise aufmerksam: „Es ist keine Story“, bremst Bitsy den Enthusiasmus ihres unerfahrenen Hospitanten ein. „Es ist ein Interview. MEIN Interview.“ Und überhaupt erwehre sie sich des Eindrucks, sie sei stutenbissig. Sie spiele bloß nur nach den Regeln. Was eben nicht jedem Kollegen in der Redaktion gefiele. „Das nennt sich…Objektivität“, doziert Bloom. Was sie wirklich unter Objektivität versteht, offenbart sie in ihrer vorgefertigten Meinung über David Gale: „Er hat es getan, und jetzt wird er dafür getötet.“ Punkt.
* Gemeint ist der langjährige CBS-Korrespondent, der als Interviewer für die Nachrichtensendung 60 Minutes viele hochrangige Persönlichkeiten “grillte” – aber auch in einige Kontroversen verwickelt war. Von einer solchen Kontroverse erzählt Michael Manns Insider. Mike Wallace wird in diesem Medienthriller von Christopher Plummer gespielt.
Dieser David Gale, der Todgeweihte, wird Bitsy Blooms journalistische Objektivität in nur drei Interviewsitzungen brechen. Aber nicht, weil Bloom eine schlechte, manipulierbare Journalistin wäre. Wie der gesamte Film ist auch ihre Figur gut gemeint. Doch Das Leben des David Gale weiß nichts mit ihr anzufangen. Das Skript etabliert Bitsy Bloom zunächst als knallharte Fragestellerin und degradiert sie schließlich zur passiven Zuhörerin, die Gales Erzählungen über sich ergehen lässt – ironischerweise nachdem sich die Figur doch tatsächlich beschwert hat (wieder mal war Zack der Leidtragende), dass sie aktives Zuhören verabscheue. Die Journalistin ist lediglich das erzählerische Bindeglied, das Gales Geschichte in die Gegenwart transportiert. Zwar leistet sie im letzten Drittel Ermittlungsarbeit, sie leistet sie aber nur, weil man sie lässt. Sie ist die auserkorene Erfüllungsgehilfin eines Masterplans.
Fehleranfälligkeit des System wird mit einem Betrug bewiesen
Denn der beruflich wie familiär ramponierte Gale und die sterbenskranke Harraway haben den Mord inszeniert. In Wirklichkeit beging Harraway Suizid, wie die extended version eines Videotapes beweist. Bitsy Bloom hat es aus der Hütte eines gemeinsamen Gefährten der beiden Aktivisten stibitzt, der im Vorgarten versteckt genüsslich beobachtet, wie der Plan aufzugehen scheint. Alles ist darauf ausgelegt, dass die Welt die Auflösung erst nach Vollstreckung des Urteils erfährt. Die Medien überschlagen sich wie kalkuliert: Texas hat einen Unschuldigen hingerichtet. Die Fehleranfälligkeit des Systems in bewiesen.
Doch das ist noch immer nicht die komplette Wahrheit. Bis zum Schluss geht Bitsy Bloom – höchst objektiv – davon aus, Gale sei unwissentlich das Opfer eines Komplotts gewesen, da bekommt sie ein weiteres Tape zugespielt, mit der Beschriftung „off the record“ – „außerhalb des Protokolls“. Darauf ist eine nochmals erweiterte Fassung des Selbstmordes zu sehen, und: David Gale, der den Tatort betritt und verschwörerisch in die Kamera stiert. Bitsy Bloom bricht in Tränen aus, der Film fährt die Credits ab. Wir wissen nicht, was die Journalistin mit diesem Wissen anfängt. Weil Bloom jedoch eine integere Journalistin ist, die ihren Quellen die zugesicherte Vertraulichkeit niemals versagen würde – so hat es uns der Film eingetrichtert – müssen wir annehmen, dass sie Gales Geheimnis für sich behält.
Die Journalistin Bitsy Bloom macht sich unglaubwürdig und strafbar
Abgesehen davon, dass die Existenz eines solchen Tapes völlig hirnrissig ist, weil es das abgekartete Spiel der Deatchwatch-Aktivisten belegt: Das Leben des David Gale bietet die wohl verdrehteste Interpretation des Informantenschutzes an, die je auf Zelluloid gebannt wurde. Die Todesstrafe mag unmoralisch sein, ist aber im juristischen Sinne kein Unrecht. David Gale, den wir posthum vorladen, weil das Komplott auf ihn zurückzuführen ist, ist demnach kein Whistleblower, der der Journalistin zur Wahrheit verhilft.
Er ist ein politisch motivierter Manipulator, der das Justizsystem mit einer vorgetäuschten Straftat narrt, was für sich eine strafbare Handlung darstellt. Sollte sich Bitsy Bloom in einem fiktiven Gerichtsfall (das wäre doch eine Idee für eine Fortsetzung) auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen (in den USA ohnehin keine Bastion), würde sie sich zur Mittäterin machen. Ja, über alledem schwebt die gute Sache, die Abschaffung der Todesstrafe. Allerdings: „Der Zweck heiligt die Mittel“ ist eine Botschaft, die Journalistenfilme normalerweise anprangern. Das Leben des David Gale ist eben etwas anders.
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