Es gibt Momente, da fehlen auch Journalist*innen die Worte. Weshalb sich Joan umso hilfloser fühlt. Worte seien schließlich alles, was sie habe.
Es gibt Momente, da fehlen auch Journalist*innen die Worte. Weshalb sich Joan umso hilfloser fühlt. Worte seien schließlich alles, was sie habe.
Dabei ist nicht nur sie sprachlos. Nach dem 11. September befindet sich New York in Schockstarre. Indem sie Feuermann Nick hilft, Nachrufe auf seine getöteten Kollegen zu verfassen, überwindet die Reporterin in The Guys ihre Ohnmacht. Nicht aber ihr Ego.
Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Constantin Film.
Wie lässt sich das Unbegreifliche begreifen? Die Terroranschläge auf das World Trade Center beschworen Bilder herauf, die bis heute surreal wirken. Und doch haben sie unsere Welt nachhaltig geprägt. Politisch, gesellschaftlich, medial. Der 11. September 2001 ist das Datum einer historischen Zäsur. Was sich rückblickend leicht sagen lässt. Lebhaft erinnere ich mich an die Leere und das Ungewisse in den Stunden und Tagen nach der Katastrophe, wie unzählige Fragen durch meinen Kopf schwirrten. Allen im Freundeskreis erging es ähnlich. Ich ging noch zur Schule, an Unterricht nach Lehrplan war in dieser Woche nicht mehr zu denken. Nahezu in jedem Fach waren die Twin Towers als Thema präsent.
Ein Anschlag mit annähernd 3.000 Toten und mehr als 6.000 Verletzten verlangt eine Einordnung in Sinnzusammenhängen. Nach Tragödien gehört es zu internalisierten Reflexen einer Gesellschaft, nach Erklärungen zu suchen, Verantwortlichkeiten zu benennen und Konsequenzen einzufordern. Häufig übersehen wir in unserer kollektiven Betroffenheit die Einzelschicksale, die sich hinter den immensen Opferzahlen verbergen.
The Guys liefert keine Antworten liefern, sondern leistet unmittelbare Trauerarbeit
Ein gesellschaftliches Trauma auf eine menschliche Ebene herunterzubrechen, ist das Ansinnen von The Guys. Das Kammerspiel ist ein regelrechtes wie unmittelbares Stück Trauerarbeit. Das Drama von Autorin und Journalistin Anne Nelson feierte wenige Wochen nach den Angriffen aufs WTC Premiere am Off-Broadway. Die Filmadaption wurde am ersten Jahrestag des Anschlags uraufgeführt. In dem Schauspiel raufen sich eine Journalistin und ein Feuerwehrmann zusammen. Joan, als ehemalige Krisenreporterin durchaus mit Gräuel vertraut, genießt das ruhige Leben als Essayistin. Eine stabile Ehe, zwei Kinder und ein Appartement in einem angesagten New Yorker Viertel ließen sie nicht nur sesshaft werden, sondern auch bequem. Der 11. September zertrümmert jegliches Sicherheitsgefühl. Zwar betrauert Joan keinen Todesfall in ihrem unmittelbaren Umfeld. Dennoch haben die Ereignisse tiefe Krater in ihrer Seelenwelt hinterlassen, in ihrem Selbstverständnis als Journalistin, vor allem als New Yorkerin.
Aus einem diffusen Pflichtgefühl heraus erklärt sie sich bereit, einem Bekannten Beistand zu leisten. Gegen das, was Feuerwehrmann Nick bevorsteht, erscheinen die Zweifel von Joan nichtig. Nick verlor bei den Anschlägen acht Kollegen. Verschüttet bei dem Versuch, zu retten, wer zu retten ist, als die Zwillingstürme einstürzten. Als Vorgesetzter kommt ihm die Aufgabe zu, seinen Mitarbeitern die letzte Ehre zu erweisen und tröstende Worte für die Hinterbliebenen zu finden. Allein in der kommenden Woche warten vier Abschiedsnahmen auf ihn. Normalerweise, sagt Nick, sei er nicht auf den Mund gefallen. In dieser Situation falle es ihm – wenig überraschend – schwer, überhaupt einen Gedanken zu fassen. Joan ist gefordert, ihre innere Blockade zu überwinden. Gemeinsam feilen sie an vier Reden, in denen die Menschen zum Vorschein kommen.
The Guys verneigt sich vor den Feuerwehrleuten, die in New York ums Leben kamen
Gespielt werden Joan und Nick von Sigourney Weaver (Ein Jahr in der Hölle, Der Augenzeuge) und Anthony LaPaglia (Balibo). Wobei Sigourney Weaver bereits in der Ur-Fassung des Theaterstücks (an der Seite von Bill Murray, Und täglich grüßt das Murmeltier, Blast – Wo die Büffel röhren) zu sehen war. Die Handlung des Films spielt sich beinahe ausschließlich in Joans Wohnzimmer ab, wo sie die Erinnerungen von Nick in bewegende Worte gießt. Die fiktiven Einzelschicksale bilden das Innenleben einer idealtypischen Wache ab: Das übereifrige Greenhorn. Der eigenbrötlerische, väterliche Ausbilder. Der stellvertretende Dienstleiter, der Nicks bester Freund war. Sie stehen stellvertretend für 343 Feuerwehrleute, die an jenem schicksalhaften Tag ums Leben kamen.
Der Film bemüht sich, diesem kollektiven Trauma mit Intimität zu begegnen und Kontrastpunkte zu den Helden-Narrativen der 9/11-Bewältigung zu setzen. Gerade die Kaste der Feuerwehrleute hielt als Sinnbild für die Unerschütterlichkeit der USA her. Nick indes lehnt den Heroismus als Label ab. Seine Freunde und Kollegen seien gestorben, als sie ihre Jobs ausübten, nicht mehr und nicht weniger. Über Tod und (Über-)Leben habe allein der Dienstplan entschieden. Das Gerede vom Heldentod mache es den Hinterbliebenen nicht leichter.
Der 11. September und das unbändige Bedürfnis nach heroischen Figuren
Joan begreift sofort, und kann es doch nicht lassen, die Verstorbenen in ihren Ausschmückungen zu überhöhen. Klar: Dass der unscheinbare Bill etwa ein „Einfaltspinsel“ war, der stets „wie ein Klempner aussah“, hört die Trauergemeinde ungern. Also macht Joan aus dem unscheinbaren Kollegen eine unverzichtbare Säule der Wachgemeinschaft. „Man muss den Angehörigen etwas geben, womit sie etwas anfangen können“, erläutert die Journalistin. Auch wenn es ihr fern liege, „Heiligenbilder“ zu inszenieren – irgendwo in der amerikanischen Volksseele schlummert es eben doch: das Bedürfnis nach heroischen Figuren.
Dieser Maxime entsprechend laviert Joan, die gleichzeitig als Off-Erzählerin fungiert, ihre Zeilen durch die Untiefen der Befindlichkeiten. Sie vermischt Anekdotisches aus dem Alltag der Feuerwehrleute mit erwartetem Pathos und bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen echter Betroffenheit und einer fragwürdigen Post von Wagner-Mentalität. Innerhalb von Minuten schüttelt sie wohlfeil formulierte Reden aus dem Ärmel, wobei die Vortragsreife ihrer Arbeiten nun mal in der Natur einer pointierten Dialogregie liegt. Schaffensprozesse und Textkorrekturen gehören in die Schreibwerkstatt, nicht in einen Spielfilm.
Warum die gut gemeinte Botschaft a einem journalistischen Genie zerschellt
Dennoch: Das Bild, das The Guys von kreativer Arbeit evoziert, entspringt eher dem Sturm und Drang als der Realität. Behände tippt Sigourney Weaver mit zehn Fingern, ihr Kopf wiegt im Takt der Tastatur. Sie sieht aus wie ein Genius, das sein Magnum Opus vollendet. Endgültig unfreiwillig komisch mutet die exaltierte Darstellung der Journalistin im „Finale“ des Films an: Joan lässt es sich natürlich nicht nehmen, zu erleben, wie ihre Worte beim Live-Publikum ankommen. Zu allem Überfluss spricht sie die Worte, die sie Nick in den Mund gelegt hat, mit ergriffener Betroffenheitsmiene mit. Ei Possen.
Wenige Minuten zuvor hatte Joan noch jedwedes Lob an ihrer Arbeit zurückgewiesen. „Ich habe nur aufgeschrieben, was sie mir gesagt haben“, wiegelt sie ab, als Nick ansetzt, die Qualitäten seiner Ghostwriterin zu würdigen. An anderer Stelle formuliert Joan den Appell, „mehr aufeinander achten“. Wir ahnen ja nicht, „welche Wunder in den Menschen schlummern“. Wunderlich sind jedenfalls die narzisstischen Anflüge der Protagonistin, die der Glaubwürdigkeit von The Guys schaden. Vielleicht ist es ganz grundsätzlich das Konzept eines Dialogfilms, das im Kontext kollektiver Trauerbewältigung seine Tücken birgt. Wer aktives Zuhören predigt, behält besser seine eigenen Redeanteile im Zaum. Ganz besonders dann, wenn er sich gerne reden hört.
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Lust, diesen Film zu sehen? The Guys ist ein Film vieler Worte, von denen einige leider nicht mehr als Worthülsen sind. Sitzfleisch ist – trotz der überschaubaren Laufzeit von knapp 85 Minuten – von Vorteil. Über die folgenden Links kannst Du den Film leihen und oder erwerben. Da es sich um Affiliate-Links handelt, erhalte ich bei einer verifizierten Transaktion eine kleine Provision. Du zahlst nicht mehr als sonst, unterstützt aber gezielt journalistenfilme.de. Vielen Dank!
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