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Rohrpost aus der Zukunft: EWE (2011, Kurzfilm)

"Your Brother is watching you. But you are watching, too." Im Kurzfilm EWE ist die Überwachung allgegenwärtig.

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“Your Brother is watching you. But you are watching, too.” Im Kurzfilm EWE ist die Überwachung allgegenwärtig.

Mehr noch: Die Menschen in diesem Staat sind in diesem Apparat voll eingebunden. Der anfängliche Widerstand ist verebbt, die Gesellschaft hat sich an die Kameras gewöhnt. Auch der Journalist Nicolai hat sich mit dieser Art von Leben arrangiert…

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Gone Astray Films

In der Welt von EWE überwachen sich die Individuen gegenseitig: Auf Geheiß der Obrigkeit hat jeder einzelne Einwohner ein tägliches Überwachungssoll von sechs Stunden zu erfüllen. Jeder ist Observierer und Observierter zugleich, jedem Beobachter ist ein eigenes Beobachtungsobjekt zugeordnet. Über einen Monitor in der eigenen Wohnung spähen die Menschen die Privatsphäre anderer aus. So auch der Journalist Nicolai, der sich bereits um 6 Uhr aus dem Bett schält, obwohl er erst um 10 Uhr in der Redaktion erwartet wird. So kann er schon einen wesentlichen Teil seines Überwachungssolls erfüllen und den Abend für angenehmere Dinge nutzen.

Seine staatlich aufoktroyierten Spanner-Aktivitäten – da ist er ganz bei der Allgemeinheit – hinterfragt Nicolai nicht mehr. “Jede Form von Verbrechen tendiert gegen null”, berichtet er uns. Womit bewiesen sei, dass das System funktioniere. Diese Gewissheit wird bald schon ins Wanken gebracht. Eines Tages nimmt Nicolais Bewacher Kontakt zu ihm auf – ein grober Verstoß gegen die Regeln. Nicolai ist skeptisch, könnte er doch in Teufels Küche kommen, wenn er sich auf ein Treffen einließe. Doch die journalistische Neugierde obsiegt. Wer in diesem System ein solches Risiko eingeht, der muss einen triftigen Grund haben.

Nicolai (Mathieu Charrière) ist Reporter und Erzähler im Kurzfilm EWE.
Nicolai (Mathieu Charrière) ist Reporter und Erzähler im Kurzfilm EWE.

Sorgloser Umgang mit Privatsphäre

Mehr verrate ich diesmal nicht: EWE ist eine kleine, schöne wie fiese Erfahrung – die 22 Minuten lohnen sich wirklich. Nur so viel: Es geht um Gehorsam, Wahrheit, Privatsphäre und den sorglosen Umgang mit ihr. Darüber hinaus ist die anfängliche Haltung des Protagonisten auch ein nachdenklich stimmendes Statement zum Zustand des Journalismus. Nicolai ist zwar engagiert, aber letztlich doch zu bequem, um dort hinzulangen, wo es richtig weh tut.

Ist er durch die Sozialisation in dem Überwachungsstaat indoktriniert? Biedert er sich dem Mainstream an, indem er sich der öffentlichen Meinung über die positiven Effekte der Überwachung anschließt? Oder ist er vielleicht bereits zu einem Kollaborateur des Systems geworden? Wie man auch diese Frage für sich beantwortet – die Figur des Nicolai erweckt einen Eindruck, den viele Menschen in den Kommentarspalten von News-Seiten und in den Social Media artikulieren: dass unsere Presse wahlweise weichgespült, korrupt oder gesteuert sei. Woran das liegt, darüber lohnt es sich nachdenken (ohne in Verschwörungstheorien abzudriften). EWE ist ein raffiniert gemachter Ansatzpunkt hierfür, weil er es uns – aber auch sich selbst als Erzählung – nicht zu einfach macht.

Plötzlich steht er da: Der persönliche "große Bruder" (Joost Renders) von Reporter Nicolai. Was er wohl zu sagen hat?
Plötzlich steht er da: Der persönliche “große Bruder” (Joost Renders) von Reporter Nicolai. Was er wohl zu sagen hat?

1984 und Brasil als große Vorbilder

Sehenswert ist der Film auch aufgrund seiner Machart. Wobei EWE mehr Slide-Show als Film ist. Es reiht sich Einstellung an Einstellung, aus dem Off spricht Nicolai als Erzähler. Wer eine lahme Foto-Love Story erwartet, kann beruhigt sein: Das Konzept klingt statischer als es ist. Durch geschickte Montagen und Überblendungen hauchen die Macher ihrem Realo-Comic Strip Dynamik ein, in jedem Frame steckt Liebe fürs Detail. Obendrein überzeugt EWE durch seinen Style. Alte Industriehallen und Plattenbauten dienen als Setting, Uralt-Monitore, Rohrpost und die obligatorische Schreibmaschine sind die Requisiten für eine analoge Dystopie, die an Werke wie 1984 oder Brazil erinnert. Ganz großes, kleines Kino!

Unten: Der Film auf Vimeo. Mehr zu EWE auf Homepage www.ewe-der-film.de.

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