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Spekulative See: Tod einer Kadettin (2017)

In Tod einer Kadettin verunfallt eine junge Frau auf einem Ausbildungsschiff der Marine. Oder steckt mehr dahinter? Ein Reporter ermittelt.

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In Tod einer Kadettin verunfallt eine junge Frau auf einem Ausbildungsschiff der Marine. Oder steckt mehr dahinter? Ein Reporter ermittelt.

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Studio Hamburg Enterprises.

Radioreporter Hartmut Kerber (Miroslaw Baka) befindet sich an Bord des Marineseglers Johann Kinau. Berichtsanlass ist das 50-jährige Bestehen des Schulschiffes. Doch die Jubiläumsfahrt gerät zur Tragödie. In der Nacht geht die 18-jährige Lilly Borchert (Maria Dragus) über Bord. Die Rettungsaktion bleibt ohne Erfolg, die junge Frau wird tot geborgen. Kerber, dem während des Törns Misstöne auffielen, versucht, die Hintergründe zu ermitteln. Warum musste Lilly sterben? War es ein Unfall? Suizid? Oder gar Mord?

Der Spielfilm Tod einer Kadettin basiert auf wahren Ereignissen. Die Marine-Anwärterin Jenny B. fiel Anfang September 2008 von Bord des Ausbildungsschiffes Gorch Fock in die kalte Nordsee, ihr Leichnam wurde erst Tage später vor Helgoland aufgefunden. Weil ihre Todesumstände bis heute Fragen aufwerfen, weckte der Fall mediales Interesse. Während die offiziellen Ermittlungen von einem Unfall ausgingen, wurden in der Öffentlichkeit Theorien über eine mögliche (Selbst-)Tötung geäußert. Genährt wurden diese durch einen weiteren Todesfall auf der Gorch Fock zwei Jahre später sowie Insider-Berichte über ein raues Ausbildungsklima, in dem Mobbing eine Rolle gespielt haben soll.

Lilly Borchert (Maria Dragus) erlebt zehrende Tage auf der Johann Kinau. Der Ausbildungsalltag auf dem Segelschulschiff ist nicht nur körperlich anstrengend, sie wird von anderen Jugendlichen gemobbt. Haben sie die junge Frau in den Tod getrieben?
Lilly Borchert (Maria Dragus) erlebt zehrende Tage auf der Johann Kinau. Der Ausbildungsalltag auf dem Segelschulschiff ist nicht nur körperlich anstrengend, sie wird von anderen Jugendlichen gemobbt. Haben sie die junge Frau in den Tod getrieben?

Basierend auf einer wahren Geschichte

Tod einer Kadettin ist ein merkwürdiges Dokument. Einerseits betont der Film seinen fiktiven Charakter, der sich am offensichtlichsten in den geänderten Namen widerspiegelt. Vermutlich stecken juristische Überlegungen hinter diesem Kniff. Denn andererseits macht sich das Drehbuch viele Ermittlungsdetails zunutze, um das Schicksal einer ehrgeizigen Einzelgängerin zu rekonstruieren, das mindestens auf die fahrlässige Behandlung der verantwortlichen Bord-Crew zurückzuführen ist. Die Ausbilder*innen in dem Film verschließen nicht nur die Augen vor toxischen Gruppendynamiken, sondern ignorieren auch Bedenken hinsichtlich der gesundheitlichen Eignung der Kadettin – die Marine als Teil der Bundeswehr steht nach der gesetzlich verankerten Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten unter dem Druck, den Frauenanteil zu erhöhen.

Diese gefährliche Melange aus Gruppenzwang, Konkurrenzgehabe und Ignoranz verknüpft Tod einer Kadettin zu einer Kausalkette, die sämtliche Theorien, die um den echten Fall kreisen, anschlussfähig macht. Wobei der Film perfider Weise mit der drastischsten einsteigt: Die Eingangsszene, die wie eine klassische Rückblende angelegt ist, suggeriert, dass Lilly gezielt über Bord befördert wurde. Dem Journalisten Kerber obliegt es nun, diesen Verdacht zu erhärten – das ist zumindest die Erwartungshaltung, die der Film anfangs weckt.

Wofür ist dieser Journalist eigentlich gut?

Tatsächlich sehen wir ihm dabei zu, wie er Vernehmungsprotokolle abhört. Sein Arbeitsumfeld ist glatt der Klischee-Hölle entsprungen: Ein nächtliches Homeoffice mit übervollen Aschenbechern symbolisiert die Selbstaufgabe eines nimmermüden Rechercheurs. Dabei besteht seine wesentliche Aufgabe darin, die Play-Taste seines Recorders zu betätigen, damit der Film die Ereignisse abspulen kann. Zwar kehrt der Film alle paar Minuten zu ihm zurück, was Darsteller Miroslaw Baka die Gelegenheit gibt, seine Runzel-Stirn in die Kamera zu halten. Viel mehr bekommt er nicht zu tun. Schon bald fragt man sich, was die Figur eigentlich soll.

Erst zum Ende hin ergibt sich eine Ahnung. Der Journalist ist der Kitt, der uns daran erinnern soll, dass wir einer Rekonstruktion folgen. Der Fall Borchert ist nämlich nicht so klar, wie der Film eingangs weismachen wollte. Im Finale kehrt der Film dorthin zurück, wo wir schon einmal waren. Lilly geht ein zweites Mal über Bord, diesmal weniger eindeutig als in der Eingangsszene. Kerber, da war ja was, der wegen seiner Radioreportage anwesend ist, versucht, erste Reaktionen einzufangen. Doch er stößt auf eine Mauer des Schweigens. Daraufhin verkrümelt er sich in seine Kajüte, wo ein kräftiger Schluck aus dem Flachmann auf ihn wartet.

Inszenatorische Schnapsidee: Gedankengang bei Wellengang

Den hat er auch dringend nötig. Was er nun zum Besten geben muss, ist wohl die absurdeste Darstellung journalistischer „Denkleistung“, die mir je untergekommen ist. Schmalspur-Sherlock Kerber zieht sich nämlich in seinen Kopf zurück, um die drei wesentlichen Theorien – Unfall, Suizid und Mord – szenisch durchzuspielen. Geisterhaft und mit bedeutungsschwerer Betroffenheitsmiene schwebt er über das Deck, um die unglückselige Kadettin vor ihrem Sturz ins eisige Nass mit Fragen wie „Warum musstest Du sterben, Lilly?“ einzudecken. Und aus dem Nebel über der Nordsee scheint, ganz entfernt, die Titelmusik von 1, 2 oder 3 zu dringen: „Du musst Dich entscheiden – drei Felder sind frei…“

Oder spielen mir meine Ohren einen Streich? Abgesehen davon, dass Kerbers Ratespiel unfreiwillig komisch anmutet, zeichnet es auch ein fragwürdiges, weil pietätloses Bild vom Journalismus. Denn wie sieht es aus, wenn ein Reporter unmittelbar nach einem Todesfall verschiedene Szenarien vom Stapel reißt, die sich zu diesem Zeitpunkt unmöglich überprüfen lassen? Richtig, wie pure Spekulation. Das kann nicht die Absicht von Tod einer Kadettin sein, der – seiner Fiktionalisierung zum Trotz – mit einem erweiterten Wissensstand im echten Fall Jenny B. aufwartet und auf zentrale Ungereimtheiten im selbigen hinweist. Die Wirkung ist aber eine andere: eine effekthascherische.

Die jugendlichen Darsteller*innen bemühen sich um ein intensives Drama auf hoher See, leider stolpert Tod einer Kadettin über die Fallstricke einer Fiktionalisierung. Näher dran an der wahren Begebenheit, als es der Film zugeben will, lehnt er sich weit aus dem Fenster. Tod einer Kadettin kannst Du via Amazon erwerben oder leihen – wenn Du das über den folgenden Affiliate-Link tust, unterstützt Du journalistenfilme.de.

Tod einer Kadettin (Gorch Fock)

1.0
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