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Live aus Bagdad (2002): O’ broadcaster, where are thou?

Goood mooorning, Bagdad! Im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris brodelt es gewaltig.                                                           

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Goood mooorning, Bagdad! Im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris brodelt es gewaltig.                                                                                                                                              

Eine Gruppe verwegener CNN-Reporter reist am Vorabend des zweiten Golfkriegs in den Irak, um genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Kein leichter Job. Live aus Bagdad pflügt in 108 Minuten durch die Gefühlswelt des Kriegsberichterstatters.

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: HBO.

Kein Krieg kommt ohne Bilder aus. Wen wundert‘s, dass jeder große Konflikt, von dem die Welt etwas hält, einen oder mehrere Kriegsreporterfilme spendiert bekommt? Der zweite Golfkrieg 1990/1991 bietet sich geradezu an: Immerhin ist Operation Desert Storm die erste Militäroffensive, die von den Nachrichtensendern live in die Wohnzimmer übertragen wird. CNN ist unmittelbar dabei, als die ersten Bomben und Leuchtspurgeschosse den Himmel über der irakischen Hauptstadt erleuchten – und wird dadurch endgültig zu einem international beachteten Medium. Wie es dazu kam, davon erzählt Mick Jacksons (Bodyguard, Volcano) TV-Film Live aus Bagdad. Vorlage ist der gleichnamige Tatsachenroman des CNN-Journalisten Robert Wiener.

Die Handlung von Live aus Bagdad setzt im Newsroom des Senders ein. Die CNN-Ältesten haben zur Lagebesprechung gerufen, denn soeben ist der Irak in das benachbarte Kuwait einmarschiert. Unter der Federführung der Vereinigten Staaten formiert sich eine Koalition zur Befreiung des Golfstaates. Ein militärischer Konflikt scheint unausweichlich, dementsprechend herrscht in der Redaktion Aufbruchsstimmung. Der von Ted Turner ins Leben gerufene Sender steht  in dem Ruf, immer dann zur Stelle zu sein, wann immer etwas Weltbewegendes passiert. So war es bei der Challenger-Katastrophe oder beim Fall der Berliner Mauer. So soll es auch sein, wenn am Golf die Hütte brennt. Ein 24-Stunden-Nachrichtenbetrieb (nein N24, billig eingekaufte Dino-Dokus und Endzeit-Reportagen fallen nicht unter den Sammelbegriff Nachrichten) verzehrt sich nach Bildern. Und dann ist da noch dieser irre irakische Diktator, dem man mal – aus journalistischem Ehrgefühl heraus – genauer auf die Finger schauen könnte. Robert Wiener, gespielt von Mr. Journalistenfilm Michael Keaton (Schlagzeilen, Spotlight), meldet sich freiwillig zum Dienst.

Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Was machen wir überhaupt hier? Ingrid Formanek (Helena Bonham Carter) und Robert Wiener (Michael Keaton) beim allabendlichen Sinnieren in der Bar. Ihre Beziehung bleibt platonisch.

Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Was machen wir überhaupt hier? Ingrid Formanek (Helena Bonham Carter) und Robert Wiener (Michael Keaton) beim allabendlichen Sinnieren in der Bar. Ihre Beziehung bleibt platonisch.

Gretchenfragen der Kriegsberichterstattung

Die grundlegenden Fragen stehen bereits nach dieser kurzen Einleitungsszene im Raum: Inwieweit erfüllt Kriegsberichterstattung aufklärerische Funktionen? Bis zu welchem Grad kann sie Einfluss auf den Verlauf eines Konfliktes nehmen? Und wann erfolgt sie aus wirtschaftlich-voyeuristischen Interessen? Man muss kein Medienwissenschaftler sein, um zu erahnen, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Motiven fließend sind. Allerdings wissen wir auch, wie Spielfilme funktionieren: Hauptfiguren entwickeln sich. In der Regel zum Positiven. Das niedere Motiv kommt – dieser Logik folgend – an erster Stelle, erst nach und nach gelangen die hehren Absichten in den Blickpunkt. So und nicht anders funktioniert auch Live aus Bagdad.

Noch am Einreiseschalter am Saddam International Airport treffen Robert Wiener und sein Team auf die Konkurrenz. Man grüßt sich, frotzelt, wünscht sich Glück. Wie vor einer bevorstehenden Großwildjagd. Die Journalistenschar ist sich einig: Irgendwas wird man schon vor die Flinte bzw. vor die Kamera bekommen. Doch nur ein Sender wird die begehrteste Trophäe präsentieren können: ein Exklusivinterview mit Saddam Hussein.

Koppweh in Bagdad: Irgendwann schmeckt auch der beste Wodka mit Schweppes nicht mehr. Die anfängliche Abenteuerstimmung nach der Ankunft im Irak schlägt in Ernüchterung um.

Koppweh in Bagdad: Irgendwann schmeckt auch der beste Wodka mit Schweppes nicht mehr. Die anfängliche Abenteuerstimmung nach der Ankunft im Irak schlägt in Ernüchterung um.

Abenteuer im Mittleren Osten

Die ersten Tage im Mittleren Osten bleiben ein Abenteuer. Die kulturellen Unterschiede, die behelfsmäßige Technik in der Bagdader Sendeanstalt – die Bedingungen vor Ort werden weggewitzelt. Hier ein Klamauk unter Kameraden, dort ein raffinierter Einfall. Ist das Journalistenleben nicht schön? Doch schon bald wird aus dem Spiel Ernst. Das irakische Regime setzt amerikanische Staatsangehörige im Land fest. Sie sollen als menschliche Schutzschilde in strategisch wichtige Einrichtungen verlegt werden, sollte die anti-irakische Koalition ihre Drohungen wahrmachen. Was der Irak natürlich umgehend dementiert.

Wiener und sein Team wollen Interviews mit Betroffenen führen, der Welt zeigen, dass das irakische Regime Amerikaner als Geiseln festhält. Ein ranghoher Bewohner der unfreiwilligen WG weist die Journalisten semi-höflich daraufhin, dass dies keine gute Idee sei, weil man mögliche Repressalien fürchte. Durch ein Ablenkungsmanöver gelingt es den Reportern jedoch, den Amerikaner Bob Vinton vor die Kamera zu bekommen.

Interview mit Saddam - können diese Augen Lügen? CNN spielt ausnahmsweise die zweite Geige. Nach einem unliebsamen Bericht cancelt der Diktator den Termin. Das erste Interview bekommt CBS.

Interview mit Saddam – können diese Augen Lügen? CNN spielt ausnahmsweise die zweite Geige. Nach einem unliebsamen Bericht cancelt der Diktator den Termin. Das erste Interview bekommt CBS.

Verantwortung, quo vadis?

Kaum ist der Bericht ausgestrahlt, verschwindet Vinton spurlos.  Saddam cancelt das zuvor in Aussicht gestellte Interview – und steht stattdessen Dan Rather (siehe auch Der Moment der Wahrheit) und dem Konkurrenzsender CBS Rede und Antwort. Die Stimmung im Team ist dahin. Die ersten wollen wieder nach Hause. Wiener kommen Zweifel an seiner eigenen Tugendhaftigkeit. Ursprünglich wollte er der Welt nur die Wahrheit auftischen. Oder etwa nicht? Wiener muss sich eingestehen, dass ihn die Aussicht auf Ruhm blind gemacht hat für das Schicksal seiner Gesprächspartner. Er hat den Schutz seines Informanten vernachlässigt. Verantwortung, quo vadis? Die Gretchenfrage in jedem Kriegsreporterfilm.

Wiener macht, was ein Journalist nach einem Fehlschlag am liebsten tut – sich zurück in die Arbeit stürzen. Um die Scharte auszuwetzen. Über einen Kontaktmann erfährt er von einem ungeheuerlichen Vorfall in Kuwait. Irakische Soldaten sollen in mehreren kuwaitischen Krankenhäusern Neugeborene aus ihren Brutkästen gerissen und zum Sterben auf dem Boden zurückgelassen haben. Wenn das nicht das Unrecht ist, auf das es aufmerksam zu machen gilt. Die Sache hat nur zwei Haken:

  1. Dieser Vorfall ist erwiesenermaßen von der amerikanischen PR-Agentur Hill & Knowlton lanciert worden; im Auftrag der kuwaitischen Regierung, um die Weltöffentlichkeit von der Notwendigkeit einer Militärintervention zu überzeugen. Diese Propagandageschichte wurde als Brutkastenlüge entlarvt.
  2. Zum Zeitpunkt der Entstehung von Live aus Bagdad war längst bekannt, dass es sich bei diesem Vorfall um eine Lüge handelte. Der Film erwähnt dies mit keiner Silbe, die Ereignisse werden in diesem dokumentarisch anmutenden Reporterstück als reale Begebenheiten präsentiert. Keine Texttafeln, die die Geschichte geraderücken. Ein Fauxpas? Gezielte Stimmungsmache (9/11 ist noch frisch, der nächste Golfkrieg zeichnet sich ab)? Oder ein bewusster Kniff, um auf die Problematik gezielter Medienmanipulation hinzuweisen, wie die Macher im Nachgang betonten? Das ZDF tappte bei der Erstausstrahlung in die Glaubwürdigkeitsfalle: Die  Forschungsgruppe Informationsgesellschaft und Sicherheitspolitik warf dem “Zwoten” vor, die Brutkastenlüge zu erneuern. Daraufhin veröffentlichte der Sender eilig einen Begleittext im Internet. Die Medienwissenschaftlerin Elvi Claßen sieht in dem Verhalten des ZDF “die Kolportage der gezielten Falschmeldung als Symptom für das beständige Unvermögen der Massenmedien mit Kriegspropaganda umzugehen.”
Mad Journalist aus...ja, aus was? Leidenschaft? Größenwahn? Peter Arnett (Bruce McGill) kommentiert sich in Rage. Die meisten sind da schon in den Schutzräumen. Sind diese Bilder es wert?

Mad Journalist aus…ja, aus was? Leidenschaft? Größenwahn? Peter Arnett (Bruce McGill) kommentiert sich in Rage. Die meisten sind da schon in den Schutzräumen. Am Ende bleibt die Frage; Sind diese Bilder es wert?

Live aus Bagdad: Die Ouvertüre eines Krieges

Was immer der Grund für diese historische Auslassung ist – sie hinterlässt einen fahlen Beigeschmack. Ansonsten ist Live aus Bagdad ein – dank MTV-Schnitt und flottem Erzähltempo – kurzweiliger Reisebericht, der seine Figuren durch ein Wechselbad der Gefühle schickt. Er zeigt uns Reporter, die in einer Ausnahmesituation einen gesunden Mittelweg zwischen eingebettetem Journalismus und journalistischem Draufgängertum zu finden versuchen. Klar, derart unter Druck  schlagen Journalisten gerne über die Stränge. Die Gelage in der örtlichen Bar sind obligatorisch. Robert Wieners chaotische, aber kongeniale Kollegin Ingrid Formanek (Helena Bonham Carter) setzt noch einen drauf und deckt sich im Duty Free Shop mit einer Einkaufswagenladung Wodka ein.

Höhepunkt ist der Auftritt von Reporter-Legende Peter Arnett (gespielt von Bruce McGill), der sich hoch über den Dächern Bagdads in einen Rausch kommentiert. Elektrisiert von der Ouvertüre des Golfkrieges mutiert Arnett zu einem Mad Journalist, während alle um ihn herum in die Schutzräume fliehen. Es ist ein medialer Ritt der Walküren, ähnlich surreal wie die legendäre Strand-Szene in Apocalypse Now, in der Lieutenant Kilgore seinen GIs vor der Kulisse eines Luftangriffs das Surfen befiehlt. Man möchte Arnett beinahe ein anerkennendes „Du Teufelskerl“ zuraunen. Aber dann wird einem klar, dass hinter diesem Größenwahn, dieser Hybris der Unbesiegbarkeit, auch ein gehöriges Maß an Dummheit steckt. Diese Bilder sind es nicht wert, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Sehen wollen wir sie aber irgendwie doch.

Weiterführende Links:

Live aus Bagdad im Journalism in Pop Culture Podcast (englisch).


Keine Leuchte des Genres, nicht nur aufgrund der kolportierten Brutkastenlüge. Dennoch ist Live aus Bagdad einen Blick Wert. Hier geht’s zu Amazon.

3.0
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