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Alles Gonzo, oder was? Fear and Loathing in Las Vegas (1998)

Fear and Loathing in Las Vegas ist ein Kultfilm der 90er. Was das mit Journalismus zu tun hat? Wenig. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinne.       

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Hunter S Thompson Fear And Loathing in Las Vegas

Fear and Loathing in Las Vegas ist ein Kultfilm der 90er. Was das mit Journalismus zu tun hat? Wenig. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinne.                                           

Zwei Männer rasen durch die Mojave. Das Drogenarsenal im Kofferraum ihres Miet-Chevrolets beherbergt so ziemlich jede Substanz, die man in den USA der 1970er Jahre schlucken, schnupfen oder rauchen kann. Nur noch wenige Kilometer Fledermausland trennen sie von ihrem Ziel: das Zockerparadies Las Vegas. Der Rest ist Filmgeschichte. An den Kinokassen grandios gefloppt, ist die Adaption von Hunter S. Thompsons Fear and Loathing in Las Vegas einer der großen Kultfilme der Neunziger. Was das mit Journalismus zu tun hat? Nicht viel. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinne, wie er an den Journalistenschulen gelehrt wird.

Von Patrick Torma. Bildmaterial: Universal Pictures.

Dabei kommt Raoul Duke mit einem konkreten, journalistischen Arbeitsauftrag nach Vegas. Für das Rolling Stone Magazine soll er über das große Mint 400-Crossrennen berichten. Doch der eigentliche Job gerät schnell aus den Augen. Was auch auf die Anwesenheit seines paranoiden Anwalts Dr. Gonzo und die Wagenladung Betäubungsmittel zurückzuführen ist. Aber nicht nur. Dukes Interesse an dröhnenden Motoren und staubigen Überholmanövern in der Einöde Nevadas ist ohnehin gering. Er ist auf der Suche nach dem amerikanischen Traum. Oder vielmehr nach dem kümmerlichen Rest, der von ihm übrig geblieben ist.

Die Geschichte spielt im Jahr 1971. Die ideelle Aufbruchsstimmung der Hippie-Ära ist in sich zusammengesackt wie ein taumelnder Boxer, der nach furiosem Start feststellt, dass er nie eine echte Chance hatte und nun den finalen, unausweichlichen Knockout kassiert. Die Geister von ’68 und Woodstock sind verblasst, Helden wie Hendrix und Joplin tot. Ohnmächtig steuert die Supermacht USA in Vietnam auf ihr größtes Trauma seit Pearl Harbor zu. Anstatt die Friedensbemühungen seines Vorgängers Lyndon B. Johnsons wie angekündigt fortzusetzen, hat Präsident Nixon das Wüten in Südostasien ausgeweitet. Napalm statt Flower Power. Nixon will den Feind zermürben. Er demoralisiert sein eigenes Land. Der Optimismus einer gesamten Generation liegt brach. Was bleibt, sind die Drogen.

Der Journalist und sein Aaanwaaalt: Raoul Duke (Johnny Depp, rechts) steigt mit Dr. Gonzo (Benicio Del Toro) in der Spielerstadt Las Vegas ab. Gemeinsam suchen sie den amerikanischen Traum.

Der Journalist und sein Aaanwaaalt: Raoul Duke (Johnny Depp, rechts) steigt mit Dr. Gonzo (Benicio Del Toro) in der Spielerstadt Las Vegas ab. Gemeinsam suchen sie nach Restspuren des amerikanischen Traums.

Die USA und der Boulevard of Broken Dreams

Das ist die nationale Gemütslage, in der Hunter S. Thompson gemeinsam mit seinem Freund, dem Anwalt und Politaktivisten Oscar Zeta Acosta, zu seinem Trip nach Las Vegas aufbricht. Die Spielerstadt ist eine groteske Karikatur des American Dream. Reich werden hier nur die Abzocker. Auf alle anderen, die Verzweifelten und die Erwartungsfrohen, wartet nur der Kater am nächsten Morgen. Wenn der Traum von einem Leben in Glamour und Luxus ausgeträumt ist und der Blick auf das schäbige Interieur des abgestandenen Motelzimmers fällt, das wenige Stunden zuvor noch wie die Suite eines Gewinners anmutete und sich nun als trostlose Vorhölle entpuppt, bevor es zurück in die richtige, noch trostlosere Hölle geht. In die Hölle namens Alltag. Dieses Las Vegas ist der perfekte Ort für eine Abrechnung mit dem American Way of Life.

Diese Abrechnung wird später zum Schlüsselwerk des Anarcho-Literaten Hunter S. Thompson. Sie trägt den Titel Fear and Loathing in Las Vegas und ist eine wilde Mixtur aus Rausch-Tagebuch, Reportage und Roman aus der Sicht seines Alter Egos Raoul Duke. Was sich wirklich zugetragen hat, und was nicht, das weiß nur Thompson selbst. Wenn überhaupt. Das Verwischen von (Bewusstseins-)Grenzen ist ein Markenzeichen des Autors, der damit einen neuen journalistischen Stil kultiviert: den Gonzo-Journalismus.

Völlig durch, schon bei der Ankunft: Raoul Duke. Eigentlich ist er hier, um über das große Mint 400-Crossrennen zu berichten. Aber dieser Arbeitsauftrag gerät schnell aus den Augen.

Völlig durch, schon bei der Ankunft: Raoul Duke. Eigentlich ist er hier, um über das große Mint 400-Crossrennen zu berichten. Aber dieser Arbeitsauftrag gerät schnell aus den Augen.

New Journalism und Gonzo-Journalismus

Gleichwohl ist Hunter S. Thompson nicht der Erste, der die Trennung von Journalismus und Literatur, von Fakten und Fiktion aufhebt. Mitte der 1960er-Jahre reichern junge Journalisten (darunter Tom Woolfe) die klassische Reportage mit literarischen Erzählformen wie dem Stream of Consiciousness an. Der New Journalism verneint vehement die Möglichkeit einer rein objektiven Berichterstattung, schließlich ist jede Beobachtung durch die Vorannahmen, Erfahrungen und Sinneseindrücke desjenigen gefärbt, der sie vornimmt. In der Konsequenz geben die Autoren mehr und mehr ihre kritische Distanz auf.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf beschäftigt sich Hunter S. Thompson mit den Hell’s Angels – der 1948 gegründete Motorradclub nimmt in den 1960er-Jahren an Fahrt auf und avanciert zunehmend zu einem US-amerikanischen Phänomen. Für die Zeitschrift The Nation schreibt Thompson 1965 einen ersten Artikel, er erhält anschließend das Angebot, ein ganzes Buch über die Motorradgang zu verfassen. Das nächste Jahr verbringt er zu Recherchezwecken in der Szene. Als Hell’s Angels 1966 erscheint, ist das Buch eines der ersten Standardwerke zur Rockerbewegung – die arrivierte Presse hält Thompson jedoch seinen Mangel an Distanz vor.

Das ist der Journalismus in Fear And Loathing in Las Vegas. Im Pressezelt geht es hoch her. Der Startschuss zum Mint 400 kommt den Reportern reichlich ungelegen. Wieso berichten, wenn man sich herrlich vergnügen kann?

Das ist der Journalismus in Fear And Loathing in Las Vegas. Im Pressezelt geht es hoch her. Der Startschuss zum Mint 400 kommt den Reportern reichlich ungelegen. Wieso berichten, wenn man sich herrlich vergnügen kann?

Geburtsstunde des Gonzo-Journalismus

Angestachelt von der Kritik werden seine Ergüsse immer wilder, sein Subjektivismus nimmt immer radikalere Formen an. 1970 soll Thompson für das Magazin Scanlan’s Monthly über das Kentucky Derby berichten. Weil er es allerdings nicht schafft, den Abgabeschluss einzuhalten, sendet er seinem Verleger seine ungefilterten Notizen zu. Als Thompsons Kollege Bill Cardoso dessen exzessives Geschreibsel in Empfang nimmt, entfährt es ihm: “Forget all this shit you’ve been writing, this is it; this is pure Gonzo. If this is a start, keep rolling.“ Es ist die Geburtsstunde des Gonzo-Journalismus.

Thompsons Stil ist prägend, insbesondere für die Anfänge des Rolling Stone-Magazins, das sich in den Reportagen der Gonzo-Ikone sonnt. Nicht die Geschichte, sondern der Autor ist der Star. Und der findet immer mehr Anhänger. In der (Selbst-)Studie Fear And Loathing in Las Vegas finden sich all die Enttäuschten und Zornigen der Post-Hippie-Ära wieder. Das Buch wird zum Sprachrohr einer Generation. Und später zum Kultfilm der Nachfolgegeneration.

Dino-Pogo, dingellingeling! Fear And Loathing in Las Vegas gilt lange als unverfilmbar, zwischenzeitlich bemühen sich Filmemacher um eine Trickfilm-Adaption. Regisseur Terry Gilliam macht schließlich keine halben Sachen.

Dino-Pogo, dingellingeling! Fear And Loathing in Las Vegas gilt lange als unverfilmbar, zwischenzeitlich bemühen sich Filmemacher um eine Trickfilm-Adaption. Regisseur Terry Gilliam macht schließlich keine halben Sachen.

Das Buch galt lange als unverfilmbar

Die Entstehungsgeschichte ist eine holprige: Das Buch gilt lange als unverfilmbar. An dieser Meinung ändert auch die freie Adaption Blast – Wo die Büffel röhren – mit Bill Murray als Hunter S. Thompson und Peter Boyle als Thomspons wildgewordener Anwalt Lazlo in den Hauptrollen – aus dem Jahre 1980 nicht. Der Gonzo-Spirit ist vorhanden, den rauschhaften Charakter der Thompson’schen Forschungsreisen kann die verhältnismäßig brave Komödie allerdings nicht vermitteln. Und das, obwohl Thompson persönlich als Berater fungiert. Der Trickfilmregisseur Ralph Bakshi, der 1977 für seine animierte Kinofassung von Tolkiens Herr der Ringe bekannt wird, will Laila Nabulsi (Thompson hatte ihr die Rechte an der Verfilmung überlassen) überzeugen, Fear And Loathing in Las Vegas als Animationsfilm zu realisieren – doch Zeichentrick ist der Produzentin nicht Hollywood genug.

Ursprünglich – die ersten Arbeiten am Drehbuch beginnen 1976 – sind für die Rollen von Duke und Dr. Gonzo Jack Nicholson und Marlon Brando vorgesehen, da die Produktion auf sich warten lässt, scheiden die beiden Schauspiel-Großmeister jedoch aus Altergründen aus. Die Blues Brothers Dan Aykroyd und John Belushi drängen sich auf, doch mit Belushis Tod 1982 hat sich auch diese Idee erledigt. John Malkovich altert ebenfalls schneller als die Produktion voranschreitet. John Cusack erhält beinahe den Zuschlag für die Rolle des Duke. Doch dann lernt Hunter S. Thompson Johnny Depp kennen. Von nun an kommt kein anderer Mime mehr in Frage. Die beiden verbindet eine tiefe Freundschaft – bis zu Thompsons Tod im Jahre 2005. Johnny Depp zündet die Kanone, die Thompsons Asche über dessen Anwesen verstreut.

Dr. Gonzo wird von Raoul Duke verarztet. "Der Mann hat ein schwaches Herz." Tobey Maguire mit fieser Spaghetti-Friese fällt vom Glaben ab, noch bevor er in der Spielerstadt ankommt.

Raoul Duke verarztet Dr. Gonzo. “Der Mann hat ein schwaches Herz.” Tobey Maguire mit fieser Spaghetti-Friese fällt vom Glauben ab, noch bevor er in der Spielerstadt ankommt.

Terry Gilliam und die Produktionshölle

Mitte der 1990er-Jahre ist mit Terry Gilliam endlich ein Regisseur gefunden, dem man es zutraut, Thompsons orgiastische Ergüsse auf Zelluloid zu bannen. Dank Filmen wie Brazil, König der Fischer und 12 Monkeys gilt das ehemalige Monty Python-Mitglied als Experte für surreale Settings und bizarre Visionen. Damit erhält er den Vorzug vor Regisseuren wie Martin Scorsese und Oliver Stone, die sich zuvor um den Film bemüht hatten.

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Nach über 20 Jahren in der Produktionshölle beginnen 1997 die Dreharbeiten. Ein Hauch von Gonzo weht über das Set. Die erste Aufnahme ist im Kasten, das volle Produktionsbudget aber noch nicht gesichert. Das Casino, das sich die Crew für die Inhouse-Shots ausgeguckt hat, zeigt sich unflexibel: Gedreht werden darf lediglich in der Zeit von zwei bis sechs Uhr. In der Frühe, wohlgemerkt. Gilliam, dessen Perfektionismus ohnehin im krassen Kontrast zu seinen verspielten Bildern steht, wird nervös. Am Ende wird er einen Trip für die Ewigkeit erschaffen. Auch wenn zunächst nichts darauf hinweist.

Da ist die US-Welt noch in Ordnung: Raoul Duke während einer Rückblende. Damals, als die Hippies noch voller Optimismus waren. In Fear and Loathing in Las Vegas geht es gerade um die Desillusionierung einer gesamten Generation.

Da ist die US-Welt noch in Ordnung: Raoul Duke während einer Rückblende. Damals, als die Hippies noch voller Optimismus waren. In Fear and Loathing in Las Vegas geht es gerade um die Desillusionierung einer gesamten Generation.

Später Kult: Fear and Loathing in Las Vegas

Die Testvorführungen sind ernüchternd, die Kritiken verhalten. Review-Legende Roger Ebert straft den Film mit einem Stern ab. Fear And Loathing in Las Vegas spielt gerade mal 10,6 Millionen US-Dollar ein – bei einem Budget von 18,5 Millionen US-Dollar. Immerhin: Hunter S. Thompson ist begeistert. „Der Film ist wie eine schaurige Trompete, die nach einem verlorenen Kampf über dem Schlachtfeld erklingt“. Soll heißen: Gilliam hat den richtigen Ton getroffen.

Inzwischen darf man wohl getrost behaupten, dass sich die Nachwelt diesem Urteil angeschlossen hat. In den Heimkinos erarbeitet sich Fear and Loathing in Las Vegas seinen Ruf als Kultfilm. Zunächst als wahnwitzige Kuriosität, die sich ihren Platz in der Riege der besten Drogenstreifen aller Zeiten verdient. Später dann, mit dem wieder erstarkten Interesse an Hunter S. Thompsons Werken, als werkgetreue wie schonungslose Abrechnung mit der Utopie des amerikanischen Traums. Und schließlich als Journalistenfilm, in dem der althergebrachte Journalismus, wie wir ihn alle zu kennen glauben, keinen Platz findet. Nur ein Mal, ganz zu Beginn des Films, meldet er sich zu Wort. Während der Autofahrt durch das Fledermausland verliest ein Nachrichtensprecher im Radio die aktuelle Drogenstatistik. Entnervt schaltet Raoul Duke ab. Der Rest ist Gonzo.

Weiterführende Links zu Hunter S. Thompson:

Die Lange Nacht über Hunter S. Thompson – ein Special des Deutschlandradios, das mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet wurde.

Dieser Beitrag ist Teil unseres Specials über Hunter S. Thompson. Weitere Beiträge:
Biedermeier-Gonzo: Unsere Besprechung zu Blast – Wo die Büffel röhren.
Ein Prequel zu Fear and Loathing in Las Vegas?: Unsere Besprechung zu The Rum Diary.
journalistenfilme.de – der Podcast: Hollywood und Thompson – das filmische Erbe des Gonzo-Literaten. Gast ist der HST-Experte und Autor des Radio-Features “Die lange Nacht des Hunter S. Thompson”, Tom Noga.


Wir können hier nicht halten, das ist Fledermausland! Keine Frage: Fear and Loathing in Las Vegas ist Kult – und die filmische Quintessenz von Gonzo. Wer sich an diesem Film berauschen möchte: Hier geht’s zu Amazon!

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